Theres
Ende führen. Und … Herr Leutnant?
»A«: Ja?
»H«: Vergewissern Sie sich, dass auch ich eine Kopie erhalte.
*
Das Erste, was ihr begegnet, ist das Licht, als die Kamerablitze aufleuchten. Mit einem diffusen Stich ins Rote am Rand des Blickfelds, gefolgt von einem Dunkel, von dem man sich nicht befreien kann. Sie erinnert sich nur, dass ihr jemand eine Tasse Tee reicht und sich das Trübe auch im Teewasser befindet: schlägt die Teetasse vom Tisch – ihr Schweine versucht mich zu vergiften – , worauf die starken Arme sie aufs Neue greifen und in einen schwarzen Einsatzwagen treiben. Auf ihre Fragen – wohin bringt ihr mich? – nur betretenes Kopfschütteln und abgewandte Blicke. Sie erwartet vergitterte Räume, eine einsame Zelle; doch die Fahrt im Einsatzwagen dauert viel zu lange, und dann (erneut Kopfschütteln und betretene Blicke) begreift sie ganz plötzlich. Schreit: Nein! , als man sie aus dem Wagen und in das breite, erleuchtete Krankenhausfoyer schleppt. Zwei Ärzte und mindestens ein halbes Dutzend Personal stehen bereit, um sie zu empfangen, zwingen sie in einen Rollstuhl und fahren sie durch lange gewundene Gänge. Ihre Schreie sind längst zu etwas außerhalb ihrer selbst geworden: sie hallen, hallen immer weiter durch Säle und Gänge, als wären sie ein Laut, den das Gebäude selbst ausstößt, ein einmütiger Schrei Sterblicher nach Anständigkeit – nehmt euren Blick von mir –, wo das, was sie tun, eher das Gegenteil ist, obendrein mit einer Art obszönem Eifer, als mache sie ihr Widerstand nur noch interessanter als Studienobjekt.
*
Es gab ein Gedicht, ein Lied, das sie als Kind vor sich hin trällerte:
Im Paradies, im Paradies
Bald kommt der schöne Prinz
Der Gesang gellt atonal, so wie sie ihn stets gesungen hat, durch die Nebelbilder, die ihr Bewusstsein durchziehen, und klingt, als sie wieder wach wird, immer weiter, verzerrt jedoch, seltsam in die Länge gezogen und schwächer geworden. Doch das, was »mit nach oben kommt«, sind keine tröstlichen Bilder aus Jena (einen kurzen Augenblick, bevor sie sich vor sich selbst auflöste, hatte sie sich in dem Glaubengewiegt, die Vergangenheit sei nahe , sie müsse nur die Hand ausstrecken, um sie zu berühren, zu fühlen und zu schmecken), sondern nur die entsetzliche Angst, die ihr vom Aufwachen nach der Gehirnoperation in Erinnerung ist: der schwülklebrige Äthergeschmack, das Licht so stark, dass es schien, als haftete es direkt auf der Hornhaut, und dann die Erkenntnis, dass alles zersplittert ist : nicht möglich, deutlich zu sehen, anders als in Fragmenten, und dass die Welt zugleich vollkommen ungehindert von allen Seiten auf sie einstürzt.
Diesmal hält die Zersplitterung ein Gesicht zusammen. Es ist groß und in der Mitte gespalten, so dass es die Wangen (die weit oben, an der bösartig glänzenden Brillenfassung befestigt scheinen) hinunterzieht, so als hingen sie in zwei dicken Säckchen. Offenbar versucht der Mann eine Art Lächeln, denn mit dem Mund geschieht dasselbe: die Lippen werden zur Seite gerissen, nach unten gezogen und beginnen wie zwei ausgespannte Flügel zu vibrieren: eine fleischige Grimasse, die sich zu einem großen gierigen Schlund öffnet, als sich der Mann näherbeugt: Willkommen zurück in der Wirklichkeit, Frau Meinhof , scheint er zu sagen, während er ihr gleichzeitig etwas entgegenhält: einen Bogen Papier, doch mit fetter öliger Oberfläche, voll schillernder Farben, die für sie gänzlich unverständliche Muster bilden. Ulrike wehrt ihn mit dem Arm ab, streckt den Körper gerade; dreht sich dann, um aus der Reichweite des Mannes zu gelangen, und übergibt sich.
Ergänzende Auszüge
(Aus den Dokumenten)
(Nachwehen)
Eine Frau tritt kurze Zeit ins Licht; tritt dann zurück: wieder ins Dunkel. Das Bild zeigt diese Frau, als sie zwischen zwei Polizisten abgeführt wird. Die Augen der Polizisten sind, gemäß des für diese Zeit geltenden Persönlichkeitsschutzes, mit schwarzen Balken »zugepflastert«. Das Gesicht der Frau ist nackt, entblößt; der Blick starr geradeaus gerichtet.
Bildtext ( Bild-Zeitung v. 19.6. ): »DIE MEINHOF HAT ALLES VERRATEN.«
*
Wen, was hat sie eigentlich verraten? Sofern der Verrat nicht genau darin besteht, dass sie sich hat festnehmen lassen ? Hinter den Schlagzeilen kann man die enttäuschten Seufzer der Fernsehzuschauer erahnen, die zwei Jahre lang von einer scheinbar endlosen Serie auf die Folter gespannt wurden. War das etwa alles? Und was sollen wir
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