Theres
Gleichwohl ist seine Verwunderung groß, als sein Vorgänger Alfred Klaus aus Bonn anruft, um mitzuteilen, dass sie Baader und Meins gefangen genommen haben und dass Genscher jetzt neben ihm steht, um ihm persönlich zu dem Einsatz zu gratulieren.
Ebenso, als sie Ensslin ergreifen. Mit dieser Festnahme ist Herold besonders zufrieden, denn sie stimmt mit einer Theorie überein, mit deren Entwicklung er begann, nachdem er monatelang über seinen »Profilen« gebrütet hatte, nämlich, dass bei jeder Fahndungsarbeit eine Situation erreicht wird, in der der Gesuchte, statt falsche Fährten auszulegen, in Wahrheit mit der Polizei zusammenzuarbeiten beginnt . Ensslin im Taxi unterwegs in Hamburg. Hat das Gefühl, der Fahrer »starre sie merkwürdig an«, und beschließt, das Fahrzeug zu wechseln.Im zweiten Wagen kommt sie auf die Idee, auch ihre Kleidung zu wechseln, bittet den Fahrer, vor einem Laden zu halten (der Boutique Linette am Jungfernstieg , mitten im starkbewachten Stadtkern). Zwei misstrauische Blicke hat sie bereits auf sich gezogen und fürchtet einen dritten nicht, als sie lässig (vermutlich im Glauben, sie stehe im Begriff, den Identitätswechsel abzuschließen) ihre sieben Kilo schwere Lederjacke auf dem Sofa in der Mitte des Raums abwirft. Nur ein Kind glaubt unsichtbar zu sein, wenn es sich die Decke über den Kopf zieht. Ensslin in der Umkleidekabine; eine neugierige Verkäuferin spürt die Form einer Smith & Wesson , Kaliber 38 Spezial , durch das dünne Jackenfutter. Ein zufällig vorbeifahrender Funkstreifenwagen nimmt die Meldung entgegen.
Jetzt: Nacht des siebzehnten Fangtages. Irgendwo dort draußen ist auch Meinhof. Das Einzige, was Herold mit Bestimmtheit weiß, ist, dass sie keinem der Porträts gleicht, die in der Bildbeilage des Bundeskriminalblatts im Umlauf sind. Wenn sie irgendetwas gleicht, dann vermutlich den Fotos auf den »Totenbildern«, die sie früher gesammelt hat. Ein Mensch, dem bis zum Äußersten zugesetzt wurde, gleicht nur seinem eigenen Schicksal. Schweigen. Kein Adjutant an der Tür. Herold lauscht hinaus in die Dunkelheit:
Viele leben sicher auch heute noch in dem Irrtum, dass der Zweite Weltkrieg mit dem amerikanischen Luftbombenangriff auf Hiroshima und Nagasaki endete. Doch, wie sich zeigen sollte, war dieser nur der Auftakt zu einem anderen Krieg. Im Frühjahr 1961 geriet ein malaiischer Trawler in Seenot und suchte Schutz an einer einsam gelegenen unbewohnten Insel im Stillen Ozean. Als sich das Schiff aber dem Land näherte, stellte die Besatzung zu ihrem Entsetzen fest, dass es aus dem Inneren der Insel beschossen wurde. Dieser Zwischenfall war nur einer von vielen, die aus diesen Fahrwassern berichtet wurden. Allmählich gelang es, die Ursache aufzuklären. Bei ihrem Rückzug hatte die japanische Marine eine große Anzahl Posten auf Inseln im Pazifischen und Indischen Ozean zurückgelassen, mit dem Auftrag, die Inseln gegen jeden Eindringling zu verteidigen. Manche der Soldaten wussten oder vermuteten zumindest, dass der Krieg, was Japan anging, beendet war, aber da sie KEINEN BEFEHLERHALTEN HATTEN, DIE WAFFEN NIEDER ZU LEGEN , beabsichtigten sie bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen. Der letzte japanische Soldat wurde 1964 entdeckt und unschädlich gemacht, auf einer Insel in der Nähe von GUAM , von dem aus die USA seit einiger Zeit Operationen in EINEM GANZ ANDEREN KRIEG führten. Die vergangenen zwölf Jahre hatte dieser Mann allein eine der unbedeutendsten Eroberungen seines Landes verteidigt. Wen versetzt das nicht in Verwunderung, liebe Hörer? DER BLINDE GEHORSAM , eine Loyalität, die nicht nur jede Vernunft, sondern auch jede Angemessenheit und Grenze überschreitet, findet seine Verkörperung in diesem Soldaten, der einsam, ausgehungert, halb verwildert, das Maschinengewehr ist seit langem verrostet, mit dem Messer auf die Schar der Entsendeten losgeht, die nichts anderes wollen, als ihn aus seiner zwei Jahrzehnte dauernden Gefangenschaft zu erretten …
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Ulrike in ihrer neuen Wohnung in Hannover-Langenhagen ( Walsroder Straße ), eine Wohnung, die immer mehr einer Zelle gleicht, obwohl der erste Eindruck eher den gegensätzlichen Anschein erweckt. Der Inhaber, an der Tür steht Rodewald , hat alles hinterlassen, selbst die benutzten Kaffeetassen auf dem Küchentisch und die Schmutzwäsche im Badezimmer, als wäre er nur zum Kiosk hinuntergegangen, um Zigaretten zu kaufen. Als erfahrene Wohnungsbeschafferin ist Ulrike eher das Gegenteil
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