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Theres

Theres

Titel: Theres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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Terroraktionen in der Bundesrepublik aus den Gefängnissen heraus gelenkt werden und dass Siedabei eine Spitzenposition innehaben; »das Gehirn« der Gruppe sind. Haben Sie den Ausdruck schon mal gehört, Frau Meinhof?
    UM: Was soll ich Ihrer Meinung nach dazu sagen?
    Cr: Das letzte Mal sprachen wir über das Gesetz gegen die Kollektivverteidigung. Können Sie nicht, so wie ich, das leicht Ironische daran sehen, dass während Polizei und Staatsanwaltschaft alles tun, um Sie als ein paar verwirrte kriminelle Elemente hinzustellen, Presse und öffentliche Meinung gemeinsame Sache mit uns machen und das Kollektiv von neuem erschaffen, das Buback und sein Anhang zu zerschlagen suchen.
    UM: Eine kranke Reaktion von einer kranken Nation. Alle schauen auf die Person, niemand auf das Handeln. Dennoch wird ein Mensch nur durch sein Handeln definiert. Siehe Hanna.
    Cr: Das mit dem Terror ist aber doch wohl zu idiotisch, Frau Meinhof.
    UM: Insofern, dass es uns hierher gebracht hat, ja. Aber Sie sind ja wohl nicht gekommen, um darüber zu reden.
    Cr: Nein, sondern über das »wiedererstandene« Kollektiv. Frau Ensslin stimmt mit mir überein, dass wir Unterstützung und Verankerung in den Bildern suchen müssen, die sich die Öffentlichkeit von uns macht. Bei jedem Versuch von Bubacks Seite, Uneinigkeit unter uns zu säen, müssen wir auf Einigkeit setzen; alles auf ein einziges übergeordnetes Prinzip zurückführen und auf eine verbindende Symbolgestalt; in diesem Fall Andreas .
    UM: Dass Gudrun will, dass wir für Andreas sprechen, ist nicht gerade eine große Überraschung.
    Cr: Wir wissen aus guten Gründen, dass man ihm den Anwalt seines Vertrauens wegnehmen wird; das ist die Methode, mit der sie Verwirrung stiften unter …
    UM: Beabsichtigt ist also, dass ich nichts sagen, sondern nur auf Andreas verweisen soll.
    Cr: Auf die Gruppe.
    UM: Jetzt wird entschieden, und Sie bitten mich zu schweigen?
    Cr: Frau Meinhof, stellen Sie sich einen Augenblick vor, dass Siewirklich diejenige wären, als die man Sie darstellt. Wie würden Sie dann handeln, wenn Sie zugleich wüssten, dass Ihr Handeln dem Kampf dienlich ist? Für uns sind die Horrorbilder, die andere von uns haben, von Nutzen.
    UM: All das erscheint mir vollkommen unwirklich. Angesichts der Verfolgung, der die revolutionären Kollektive ausgesetzt sind, bitten Sie mich, Theater zu spielen?
    Cr: Nicht ich, sondern die Gruppe bittet Sie zu überdenken, welche Mittel einem höheren Zweck am besten dienen.
    UM: Aber das ist doch wirklich das, was dort draußen stattfindet; in Stockholm; was mit Hanna passiert ist.
    Cr: Mit Verlaub gesagt, Frau Meinhof: Ihre Fixierung auf Hanna Krabbe ist extrem und nicht eben glücklich. Die Operation in Stockholm ist misslungen. Vergessen Sie das nicht. Lassen Sie uns stattdessen Dinge ins Auge fassen, die eine Voraussetzung zum Gelingen haben. Wichtiger, als eine Botschaft zu sprengen, ist im Augenblick, Risse in die Fassade der scheinbaren politischen Legitimität der Staatsanwaltschaft zu schlagen. Jetzt haben wir dazu eine einzigartige Gelegenheit, die dürfen wir nicht verpassen. Hören Sie noch zu, Frau Meinhof?
    *
    20. Mai 1975: 04.00. Ulrike wacht zu einem durchdringenden, dumpfen Ton auf, der, als sie sich im Bett aufrichtet, erneut zu dem bekannten, stechenden Kopfschmerz wird. Das Atmen fällt ihr schwer, so als hätte jemand in der Nacht alle Sauerstoffzufuhr zur Zelle abgewürgt. Auch die Stille ist von dieser Art: keine Stille, so als ob man nichts hört, sondern eine, so als ob es nichts gibt . Auch die Verbindungen zu einer wirklichen Existenzform haben sie abgeschnitten. Gleichwohl weiß Ulrike, dass sie jede Stunde am Tag weiter an ihren Kisten und Kästen zimmern, kleine Silberhämmer, die auf die Köpfe der Nägel einschlagen, so wie die Kopfschmerzen bei ihr jetzt; um jeden erdenklichen Fluchtweg zu versiegeln.
    Soll man sie dann auch so vorfinden?
    Sie steht auf aus diesem geräuschabweisenden Dunkel, tastet sich hinter den Plastikvorhang zu der engen Toilettenkabine. Zwei Handvoll Wasser ins Gesicht gedrückt, dann kehrt etwas von dem Wirklichkeitsgefühl zurück, genügend, um sich in der stockdunklen Zelle zu orientieren, ihre Kleider zu finden und sie anzuziehen. Die Hände gehören trotz allem noch immer zum Körper: mit zwei gespreizten Fingern misst sie den Abstand zwischen den Augenwinkeln, trägt Mascara auf; dann die Lippen: eine »Gestalt« sein in diesem makabren Schauspiel.
    Anschließend bleibt ihr

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