Theres
unterdrücken lässt) im Körper zum schwachen Beben zusammengepresst. Dann geht Jan, vermutlich unfreiwillig, ins Netz; zwei Worte nur, verdammte Scheiße , und schaltet sich aus. Ulrike lauscht, trotz allem will sie nicht glauben, dass es damit zu Ende ist; nicht einmal, als das bestätigende Signal kommt: eine lange Serie Klopfzeichen über die Rohre, AUSNAHMEZUSTAND AUFGEHOBEN , abrupt unterbrochen von denStimmen des Wachpersonals (sie haben sich wieder in den Gang hochgewagt):
DIE GEFANGENEN HABEN RUHE ZU BEWAHREN;
JETZT HERRSCHT RUHE …
Offizielle Erklärung: Die Regierung hat der »Forderung der Erpresser« nicht nachgegeben. Ergebnis: drei Tote, zwei vom Botschaftspersonal, einer aus der Kommandogruppe (Ulrike denkt: Hanna? ); ein ausgebranntes Botschaftsgebäude. Weiteres Ergebnis: ein Bild, das obwohl es dort existiert hatte und eine Zeitlang wirklicher gewesen war als alles andere, nun eingefroren. Die lebendige Ulrike dreht sich in der Zelle um und sieht sich dort stehen, mitten auf der Startbahn, unterwegs, doch ständig und vielleicht für ewig erstarrt in der schweren vorwärtsstrebenden Bewegung, zu der Körper und Gesicht vom Wind geformt wurden; noch eine der vielen Masken des Holzschnitzers.
Memorial
These: Ein Monument aus Stahl und Beton wurde noch zu ihren Lebzeiten über ihnen errichtet. Antithese: Das Monument war bereits vorhanden, man brauchte nur etwas Sinnvolles, um es damit zu füllen.
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(Stuttgart, dpa)
Das neue Prozessgebäude, erbaut für das Gerichtsverfahren gegen die vier RAF -Aktivisten Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, ist nunmehr fertiggestellt. Erbaut auf einem früheren Kartoffelacker zu einer Gesamtkostensumme von zwölf Millionen D-Mark ist das Gebäude eine vollendete Schöpfung aus Stahl und Beton. Die eigentliche Mehrzweckhalle, wie der Gerichtssaal genannt wird, misst 610 Quadratmeter und bietet Platz für insgesamt 200 Zuhörer. Wie dpa in Erfahrung bringen konnte, werden die Sicherheitsvorkehrungen bei diesem bereits jetzt historisch genannten Verfahren immens sein. Nicht nur ein Überfliegen des Gebietes ist verboten. Innenhof und Dach des Prozessgebäudes wurden mit einem Netz aus Stahl überspannt, so dass auch Sprengkörper aus der Luft keinen Schaden anrichten können. Innerhalb des Gebäudes werden sämtliche Besucher einer Leibesvisitation unterzogen, Gegenstände aus Metall werden beschlagnahmt; Journalisten, die dem Verfahren beiwohnen, erhalten als Ersatz für ihre Füllfederhalter und Kugelschreiber behördeneigene Bleistifte. Auf die Frage, wie das Prozessgebäude im Nachhinein genutzt werden solle, erklärte der Ministerialdirektor am Stuttgarter Justizministerium, Herr Kurt Rebmann, man habe Pläne, es zu einer Turnhalle umzubauen. Ein anderer Vorschlag, der diskutiert werde, laute, dasGebäude in eine Werkhalle umzuwandeln, in der die Gefangenen beispielsweise Korbmöbel herstellen könnten, die hoffentlich in Serie gingen.
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Nach dem Erfolg der Autobiographie Fünf Finger sind keine Faust (1974) wird Klaus Rainer Röhl überredet, einen Roman über seine Ehe mit Ulrike Meinhof zu schreiben. Arbeitstitel: Die Genossin . Verlag: Fritz Molden (München). Werbeslogan des Verlags: Der Mann Ulrike Meinhofs schrieb den Roman, den außer ihm niemand schreiben konnte. Das Buch wird durch Pressekonferenzen und Buchhandelsbesuche lanciert, wo die Leser ihre Exemplare signiert bekommen können: vom Autor. Überall: Bilder von Röhl; von Meinhof kein einziges – über jene hinaus, die in den Journalen und im Roman vorkommen (darin heißt sie Katarina). Möglicherweise begreift auch Röhl, wie bizarr das alles ist, denn einem Journalisten gegenüber bekennt er, dass auf seinem Nachttisch noch immer ein Foto seiner früheren Ehefrau steht. Von welcher Meinhof? , erwidert der Journalist. Und Röhl: Der wirklichen; derjenigen, die sie war, bevor dieser Alptraum begann.
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20. April 1975. Meinhof bekommt Besuch von ihrem Schutzengel, Klaus Croissant, die Rabenflügel stecken im Augenblick in der Hülle und stattdessen ist er salopp in Jeans und kariertes Flanellhemd gekleidet:
Cr: Haben Sie das hier gesehen, Frau Meinhof?
UM: Was ist das?
Cr: Ein Interview mit ihrem früheren Gatten in Quick. Er behauptet, Sie seien von der RAF als »Geisel« genommen worden und dass Sie als solche gezwungen sind, auf Anweisung der anderen Gefangenen zu agieren. Gleich daneben steht ein Artikel, der den Beweis führt, dass alle
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