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Theres

Theres

Titel: Theres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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Leitungsrohre unterbrochen; nicht ein oder zwei rasche Dreifachschläge, sondern eine lange Serie sich rhythmisch wiederholender Schläge, das verabredete Signal für AUSNAHMEZUSTAND , eine Einberufung von solcher Wichtigkeit, dass sie automatisch alle »Ruhezeiten«, große oder kleine, aufhebt.
    Der Erste, den sie beim Verlassen der Zelle zu Gesicht bekommt, ist Raspe, der an der Wand des Ganges hockt, einen vom Körper verdeckten kleinen Rundfunkempfänger bei sich. Er führt langsam den Finger an die Lippen, bedeutet ihr jedoch zugleich näher zu kommen. Sie hockt sich hin, er verdeckt ihren Körper mit dem seinen, und aus dem Radio ist eine spinnwebfeine Stimme zu hören, die langsam an Stärke gewinnt:
    … der Nachrichtenagentur dpa zufolge hat eine Gruppe, die sich KOMMANDO HOLGER MEINS nennt, Mitarbeiter derBotschaft als Geisel genommen, mit dem Ziel, Gefangene in Westdeutschland freizubekommen. Wenn die Polizei eingreift, so droht die Gruppe, wird das Botschaftsgebäude mit fünfzehn Kilo TNT in die Luft gesprengt …
    Wir sind bald frei, so hört sich das an, was Jan flüstert. Andreas kommt vom anderen Ende des Ganges auf sie zu. Holger hätte diese Rache begrüßt , sagt er, ohne eine Spur früherer Misshelligkeiten in der Stimme. Und hinter ihm, wie immer in solchen Augenblicken des Triumphes: Ensslins strahlendes Gesicht. Die vollendete Karikatur.
    Was für eine Botschaft? , sagt Ulrike nur.
    Keiner schafft es zu antworten; Schlüssel rasseln bereits im Schloss, die Wärter sind unterwegs hierher:
    DIE GEFANGENEN ZURÜCK IN IHRE ZELLEN;
    DIE GEFANGENEN ZURÜCK IN …
    Andreas ( Die Neuigkeit hat sich verbreitet, sie haben jetzt Angst, die Schweine …) kehrt in seine Zelle zurück, und bald hat auch Ulrike eine Wärterhand auf dem Rücken. Der Gang leer und vom Radio (das ist wirklich Raspes besonderes Talent) keine Spur.
    *
    Allein in ihrer Zelle, tut Ulrike, was Jan ihr beigebracht hat: verbindet den Stereoverstärker mit dem Anstaltsfunk. Schwache Stimmen aus vielen Räumen. Irgendwo dort draußen sitzt auch Jan, der Spezialist für das eigene interne Radio der Gefangenen. Bisher aber schweigt Jan. Vermutlich hört auch er die offiziellen Sendungen. Aus diesen gelingt es Ulrike mit der Zeit, ein einigermaßen verständliches Bild zusammenzusetzen über das, was dort draußen geschah und noch immer geschieht. Eine unbekannte Anzahl »Genossen« (unklar welche, unklar mit welchen Mitteln) sind in die westdeutsche Botschaft in Stockholm eingedrungen, halten seitdem Teile des Botschaftspersonals als Geiseln fest und verlangen, dass sämtlichen politischen Gefangenenin der Bundesrepublik freies Geleit aus ihrem Land gewährleistet wird. Ulrike wartet. Nach einer weiteren Zeitspanne kommt der Bescheid: Die Kommandogruppe erklärt, sie sei gewillt, pro Stunde eine Person von den Geiseln zu erschießen, solange die Forderung nicht erfüllt ist.
    Ulrike wartet. Zwei Stunden, drei? Die Zeit ist nun aufgehoben. Dann wird Jans Stimme in das Netz eingespeist; klar, fest und deutlich: Hanna Krabbe ist dort, und eine Welle plötzlicher, vermutlich vollkommen irrationaler Hoffnung durchfährt Ulrike: Hanna, denkt sie, eine Gestalt, ein Gesicht, ein »Verbindungsglied« zur Außenwelt; eine Beschützerin, die sie nicht im Stich lässt: Hanna ist dort . Mit Hannas Anwesenheit wird auch das Ereignis verständlich, so wie auch die Hoffnung Wurzeln schlägt: Endlich geschieht etwas aus eigener Kraft; sie erheben sich.
    Ulrike sehnt sich nach Hanna, wartet darauf, dass der erste Schuss fällt. Tief in ihr aber, an dem Zusammenfluss der Tagtraumbilder, die ihren Zustand nunmehr steuern, ist sie weder in Stammheim noch in Stockholm, sondern auf einem Flugplatz. Der Flugplatz ähnelt dem von Berlin Tempelhof. Vor dem Flughafengebäude steht eine wartende Maschine. Es ist dunkel, jedoch hohe Bogenlampen von der Art, die doppelte oder dreifache Schatten werfen, kapseln diesen »Ausbruchsraum« ein in kaltes, weißes, künstliches Licht ( wie im Theater , denkt sie). Ein Windstoß geht durch dieses Bild, und der Wind ist so stark, dass er die Augen zum Tränen bringt, als sie endlich die Wanderung zu dem wartenden Flugzeug antritt, und es ist – wie soll man es nennen? – ein »Todeswind«: er führt nirgendwohin, verspricht nichts, ist einfach nur da, in diesem Raum, der ein Traum über einen Ort ist, der einen letzten endgültigen Haltepunkt verspricht.
    Ulrike wartet, glaubt nichts, die Hoffnung (die sich nicht

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