Theres
finden. Vielleicht, weil keine Zeit ist, sich mit dem Thema eingehender zu befassen, oder weilder Spaltenplatz begrenzt ist; oder man glaubt womöglich voll und ganz dem geflügelten Ausspruch, dass »ein Bild mehr sagt als tausend Worte«. (Aber was sollen die wenigen heimlich aufgenommenen Bilder dann sagen? In einer Welt, in der alles sich entwickelnde Form ist, Leben, das seiner Vollendung zuwächst, haftet nur das auf dem Bild, für das dieses Bild präpariert ist – alles andere ist per definitionem nicht existent . War es nicht etwas Ähnliches, was du zu sagen pflegtest, Ulrike? Oder ist es vielleicht gar so, dass sie Angst haben, Angst auf dieselbe abergläubische Weise wie zu früheren Zeiten, als man glaubte, jemand, der einem anderen Menschen allzu lange ins Gesicht starrt, übernimmt dessen Krankheiten und Gebrechen. Die Angst vor dem bösen Blick.
Für Ulrike Meinhof (mit diesem Namen zu den Verhandlungen gerufen) sind die Ereignisse in jedem Fall vollkommen unwirklich. Sie hört einen Justizbeamten über das Lautsprechersystem des Saales rufen – Das Gericht tritt zusammen. Alle Unbefugten haben den Saal zu verlassen! –, wird dann hinausgeführt in einen großen weißen Saal, gleichsam aus Licht geschnitten , unter dessen durchbrochener Decke sich Menschen bewegen: nicht rasch, eher rastlos, als sei jede Begrenzung ein äußeres Hindernis, das so rasch wie möglich überwunden werden müsse. (So gehen nur Menschen, die es gewohnt sind, sich in Freiheit zu bewegen.) Sie, müde, sinkt dankbar auf einen der Stühle, die ihr rechterhand am Podium angeboten werden, nur um sofort einen Knuff in die Seite zu erhalten:
Würden sich die Angeklagten freundlichst erheben? Auch Sie, Frau Meinhof.
Der Gerichtsvorsitzende; Herr Theodor Prinzing!
(Würde jemand Frau Meinhof bitten, sich freundlichst …)
Frau Meinhof!
Sie erhebt sich, und Prinzing betritt den Raum. Absolut kein »Froschmann« (Was hatte sie zu dieser Vorstellung gebracht?), sondern eherein »Storch«. Das lose flatternde schwarze Kleidungsstück erinnert flüchtig an die Aufmachung der Anwaltraben; dieser Mann aber ist irgendwie größer, imposanter, mit ausgeprägt von oben nach unten gerichtetem Blick. Als würde ihm alles in zwar einnehmender, in ihren Details gleichwohl schwer überschaubarer Luftperspektive dargeboten.
Mit dem Vorsitzenden an Ort und Stelle liegen auch die Anklageschriften auf dem Tisch (ein beträchtlicher Packen). Prinzing erklärt das Verfahren für eröffnet und stellt die Anwesenden der Reihe nach vor, die Anwälte der Verteidigung und die der Anklage.
Gott sei Dank: ein Geschenkmorgen.
Ulrike fixiert die »Zwangsverteidiger«, die aufgestanden sind, die Arme seitlich herabhängend; falsche Raben mit schlaffen Flügeln und gepolsterten Schultern.
Keiner von denen dort hat das geringste Recht …
Stopp. Die Bandaufzeichnung funktioniert nicht. Frau Meinhof, bitte entschuldigen Sie, die Bandaufzeichnung funktioniert nicht. Wir müssen es ins Protokoll aufnehmen. Es ist nicht meinetwegen.
Lassen Sie mich ausreden.
Neben ihr erhebt sich nun auch Baader. Während der Betstunden hatte er fast amüsiert gewirkt, weil seine »Vertrauensanwälte« kurzfristig von den Verhandlungen ausgeschlossen worden waren; jetzt schreit er ins Mikrofon:
Ja, was sollen diese Tricks?
Frau Meinhof ist Manns genug, um für sich selbst zu sprechen.
(Oder Frau …)
Frau Meinhof, bitte sprechen Sie ins Mikrofon.
Und warum? Weil die Mikrofone abgehört werden?
Wir verlangen von unseren eigenen Anwälten verteidigt zu werden.
Herr Baader, Sie kennen sehr wohl das Gesetz über das Verbot der Gemeinschaftsverteidigung.
Gemeinschaftsverteidigung, er hat ja nicht einmal einen Anwalt!
Ist das Gemeinschaftsverteidigung, dass Sie sich hier und jetzt gemeinschaftlich ins Wort fallen?
(Der Mann hat Humor …)
Lassen Sie jetzt Ihre dummen Witze.
Herr Baader …?
Sie arbeiten mit zwei Methoden, Herr Vorsitzender. Entweder unterbrechen Sie uns, oder Sie manipulieren uns mit Ihrer Aufnahmeapparatur.
Die hat man uns aufgezwungen …
Frau Meinhof, darf ich Sie noch einmal an das vorhandene Mikrofon erinnern. Es steht vor Ihnen auf dem Tisch.
… außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass uns diese Verteidiger aufgezwungen wurden, dass sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Bundesstaatsanwaltschaft stehen und dass jedes von ihnen geäußerte Wort sich gegen uns richten wird … Und was das Mikrofon angeht, mit dem Sie mir in den
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