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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kurzke
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zurückgestellt, wollte er wenigstens mit der Feder Kriegsdienst leisten. Von Mitte August bis Anfang Oktober 1914 entstand der Essay
Gedanken im Kriege
, der im Novemberheft der
Neuen Rundschau
erschien und sich einfügte in ein vielstimmiges Konzert kriegsbejahender Publizistik. Der Essay
Friedrich und die große Koalition
schloß sich an (geschrieben von September bis Dezember 1914, erschienen 1915), ein Porträt des Preußenkönigs Friedrich II., das einflüstert, die Rolle Preußens im Siebenjährigen Krieg sei als typologisches Vorbild der Rolle Deutschlands im Weltkrieg zu verstehen. Weitere kriegsdienliche Artikel folgen – auch einer mit grenzüberschreitender Resonanz (
An die Redaktion des ‹Svenska Dagbladet›, Stockholm
, 1915). Mit dem Bruder Heinrich kommt es, vermutlich im Oktober 1914, zu einer schweren Auseinandersetzung. Das alles sind Signale einer Erschütterung, die nach tieferer Klärung verlangt. Vom Herbst 1915 bis zum Frühjahr 1918 arbeitet Thomas Mann verbissen an einer Erklärung für ein Engagement, das zum bisher vertretenen Ästhetizismus so schlecht zu passen schien, und führt, oft in Gestalt einer Abrechnung mit dem Bruder, eine Generalrevision seiner Grundlagen durch, die im Herbst 1918, als der Krieg zu Ende geht, unter dem Titel
Betrachtungen eines Unpolitischen
auf den Buchmarkt kommt.
    Er scheint sich damit politisch rechts verortet zu haben, doch können ihn die sich in den Anfangsjahren der Weimarer Republik etablierenden Rechtsparteien nicht für sich gewinnen. Im Gegenteil setzt er sich sofort für diejunge Republik ein, in einem Artikel
[Für das neue Deutschland]
vom Januar 1919, der als regierungsoffizielles Plakat und im sozialdemokratischen
Vorwärts
erschien. Die Tagebücher der Jahre 1918–1921 sind voll von politischen Diskussionen und Orientierungsversuchen ohne klares Ergebnis. Die reiche essayistische Produktion dieser Jahre, darunter
Russische Anthologie
(1921) und die Erstfassung von
Goethe und Tolstoi
(1921), konzentriert sich auf literarische Themen, ebenso wie der erste Sammelband mit Essays, der 1922 unter dem Titel
Rede und Antwort
erscheint. Ein kurioses Produkt ist der Essay
Okkulte Erlebnisse
(1923), der auf Séancen bei und mit dem berühmt-berüchtigten Parapsychologen Albert Freiherr von Schrenck-Notzing zurückgeht. Den Überdruß am Politischen zeigen auch die beiden Idyllen: die bei allen Hundebesitzern beliebte Erzählung
Herr und Hund
(geschrieben im Sommer 1918, erschienen 1919) und das Hexameter-Epos
Gesang vom Kindchen
(1919). 1918 und 1919 werden die beiden jüngsten Kinder geboren, Elisabeth (das «Kindchen») und Michael. Im März 1919 wird zusammen mit einem Freund das Villino gekauft (und 1923 wieder verkauft), ein kleines Landhäuschen in Feldafing am Starnberger See, zu dessen Inventar ein Grammophon gehörte. Die Reisetätigkeit, die während des Krieges fast zum Erliegen gekommen war, wird langsam wieder aufgenommen und internationalisiert sich zusehends, mit Wien (1919), einer großen Schweizerreise (1921), Prag, Wien und Budapest (1922 und 1923), Amsterdam und Den Haag (1922), Spanien (1923) und London (1924). Eine Reise nach Paris wird 1926 folgen und wird helfen, die Vorurteile zu besiegen, die der Krieg hinterlassen hat.
    Die Aussöhnung mit dem Bruder Heinrich Mann im Januar 1922 macht Thomas Mann bereit, sich auch mit der Weimarer Demokratie hochoffiziell zu vertragen. ImHochsommer 1922 schrieb er die manifestartige Rede
Von deutscher Republik
, die er dann im Oktober im Berliner Beethovensaal in Anwesenheit von Reichspräsident Friedrich Ebert vortrug. Die Republik begrüßte ihn, trotz der
Betrachtungen eines Unpolitischen
, sogleich als einen ihrer führenden Repräsentanten, während ähnlich hochrangige Auftritte aus der Kaiserzeit nicht belegt sind.
    Vom Zeitgeschehen durcheinandergerüttelt kann Thomas Mann nicht verhindern, daß seine vielen Essays und Artikel aus diesen zehn Jahren Fehlurteile, Widersprüche und Unausgewogenheiten in großer Zahl aufweisen. Sehr viel leistungsfähiger ist in dieser Hinsicht der große Roman
Der Zauberberg
, der in den Jahren 1913–1915 und 1919–1924 entsteht und Ende November 1924 erscheint. Das ästhetizistische Paradigma kann mit Widersprüchen sehr viel besser umgehen. Es legt verschiedene Positionen einfach verschiedenen Romanpersonen in den Mund. Der große Erfolg des Romans beruht auch darauf, daß er als intellektuelle Summe der Zeit verstanden wurde, als

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