Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
bei Meran, 1902 und 1904 wieder nach Riva, und immer wieder Urlaubstage an verschiedenen Orten in Oberbayern. Dazu kommen erste Geschäfts- und Lesereisen, so, von 1903 an fast jährlich, nach Berlin, wo der S. Fischer Verlag seinen Sitz hatte, ferner nach Königsberg (1903), Göttingen (1904) und Lübeck (1904). Von Ende Oktober 1901 bis Mai 1902 ist er noch einmal als Lektor im Verlag Albert Langen beschäftigt. Im übrigen vergeht die Zeit mit Schreiben, Theaterbesuchen, Ausflügen, Korrespondenz, Privatleben und häufigen Umzügen.Er ist viel unterwegs, ohne daß wirklich Bedeutendes passiert. Innerlich freilich zünden in diesen unruhigen Jahren zahlreiche Inspirationen, und die ersten Ideen zu vielen späteren Werken lassen sich greifen – so zu den
Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull
, zum
Doktor Faustus
, zu den nicht ausgeführten Projekten eines schopenhauerisierenden Gesellschaftsromans mit dem Titel
Maja
und zu einem Roman über Friedrich den Großen.
1905–1914: Angestrengte Zeiten unter dem Dach der wilhelminischen Sekurität
1905 wird
Fiorenza
fertig, die Novelle
Schwere Stunde
entsteht (zum 100. Todestag Schillers), ebenso die Inzestnovelle
Wälsungenblut
, die dann nicht erscheinen kann, weil sie offenkundig die Atmosphäre des schwie ger elter lichen Hauses porträtiert. In
Bilse und ich
(1906), seinem ersten bedeutenderen Essay zu ästhetischen Fragen, erklärt Thomas Mann, daß die Realie in einem Kunstwerk nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Diverse weitere literarische Essays entstehen in der Folgezeit, darunter
Versuch über das Theater
(1907),
Süßer Schlaf!
(1909),
Der alte Fontane
(1910), ferner eine polemische Auseinandersetzung mit dem jüdischen Schriftsteller Theodor Lessing (
Der Doktor Lessing
, 1910). 1905, 1906, 1909 und 1910 werden die ersten vier Kinder geboren (Erika, Klaus, Golo und Monika). Katja ist häufig zu langen Kuraufenthalten genötigt. Der von 1912 in Davos hat literarische Folgen, weil Thomas Mann sie dort besucht (Mai– Juni) und die ersten Inspirationen zu seinem Sanatoriumsroman
Der Zauberberg
empfängt (an dem er dann seit Juli 1913 arbeitet). Von 1905 bis 1909 entsteht der Roman
Königliche Hoheit
, der, obgleich von der Kritik bis heute nicht besonders geschätzt, gut verkauft wurde und 1918 im 64. Tausend stand. 1908 wird in BadTölz ein Sommerhaus gebaut, in dem die Familie bis 1917 viele schöne Ferientage verbringt. Ein Schock ist 1910 der Selbstmord der Schwester Carla, in der Wohnung der Mutter in Polling, jenem oberbayerischen Dorf südlich von Starnberg, das als «Pfeiffering» im
Doktor Faustus
wiederkehren wird. Ende Mai 1911 verbringt Thomas Mann einige Tage im Grand Hôtel des Bains auf dem Lido von Venedig. Dort empfängt er Eindrücke, die er für die Erzählung
Der Tod in Venedig
brauchen kann, an der er seit Juli 1911 arbeitet und die im Herbst 1912 erscheint. 1913 schreibt der berühmte Kritiker Alfred Kerr eine gehässige Besprechung einer
Fiorenza
-Aufführung. Von 1912 bis 1913 ist Mann Mitglied des Zensurbeirats der Königlich Bayerischen Polizeidirektion, in dem er eine liberale Position vertritt. Es geht ihm um die Freiheit der Kunst, nicht um ihre staatliche Reglementierung. 1913 wird die Villa im Münchener Herzogpark gebaut, die von 1914 bis 1933 der Wohnsitz der Familie sein wird.
Es sind Jahre angestrengter Arbeit in einem Staatswesen, das unangezweifelt funktioniert und den Künstler in Ruhe läßt. Thomas Mann ist sehr fleißig. Er ist Vorsteher einer schnell wachsenden Familie, baut zwei Häuser, entwirft und schreibt Dichtungen und Essays, liest und vermarktet sein Werk. Er bekommt 500 Mark für den Abend. Vortragsreisen führen ihn nach Prag, Dresden und Breslau (1905), Basel, Dresden, Berlin und Hamburg (1906), Halle, Dresden und Berlin (1909), Weimar (1910), Koblenz, Bonn, Mülheim, Düsseldorf, Bielefeld, Münster und Brüssel (1911), Heidelberg und Bremen (1912), Leipzig, Basel, Stuttgart, Wien und Budapest (1913), Luzern, Zürich, St. Gallen, Frankfurt am Main und Freiburg im Breisgau (1914). Im August 1914 setzt der Kriegsausbruch der Reisetätigkeit ein vorläufiges Ende.
1914–1924: Vom Schock des Krieges bis zum ‹Zauberberg›
Der Sturm des nationalen Enthusiasmus, der im August 1914 dem deutschen Volk ein Urerlebnis bescherte, von dem es einige Jahrzehnte nicht mehr loskam, erfaßte auch Thomas Mann und wühlte ihn auf wie nichts vorher. Drei Mal gemustert und immer wieder
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