Thondras Kinder - Am Ende der Zeit
nicht, ihre Sorgen auszuschalten. In der Nacht konnte sie nicht schlafen, und während des Tages saß sie vor der Höhle, um den Himmel abzusuchen. Dann, als es schon beinahe wieder Nacht war, hörte sie einen Schrei. Tovions Falke war zurückgekehrt.
»Schnell, komm raus«, schrie sie und zerrte Tovion am Ärmel mit sich, der vor Schreck seine Suppe verschüttet hatte.
Sie wartete ungeduldig, bis der Vogel seinen letzten Kreis gezogen hatte und endlich auf Tovions Arm landete.
»Was schreibt er denn?«, fragte sie nervös und zappelte herum, während Tovion noch die Nachricht löste.
Nachdem er nur kurz gelesen hatte, reichte er ihr lächelnd das kleine Stück Papier.
Rijana nahm es an sich und setzte sich erleichtert auf den Boden. Ariac hatte in seiner etwas ungelenken und ungeübten Handschrift geschrieben, dass sie gut vorankamen und auf keinen Widerstand getroffen waren.
»Na siehst du«, sagte Tovion zufrieden. »Es ist alles gut.«
Von einer großen Last befreit lächelte Rijana und drückte den Zettel an sich. Am nächsten Tag wollte sie sofort wieder eine Nachricht schicken, aber Brogan meinte, der Vogel solle sich lieber ausruhen; außerdem würde es so bald ohnehin nichts Neues geben.
Daher blieb Rijana mit ihren Ängsten in den Höhlen zurück. Ein wenig Ablenkung verschaffte sie sich damit, dass sie Nelja bat, ihr eines dieser magischen Hochzeitsbänder herzustellen. Zuerst wirkte die junge Frau ein wenig unsicher, denn sie kannte diesen Brauch nicht. Auch Brogan war nicht von
großem Nutzen, denn mit der Herstellung von magischen Artefakten hatte er sich kaum beschäftigt und verfügte daher nur über Grundkenntnisse. Zauberer Tomis hingegen war auf diesem Gebiet sehr bewandert. Er erklärte Nelja eine Menge über die nötigen Rituale, auch wenn er, wie die meisten Menschen, kaum etwas über das Steppenvolk wusste. Aber er war fest davon überzeugt, dass sie trotzdem solch ein magisches Hochzeitsband herstellen könnten. Tovions Vater versprach, das beste Leder herauszusuchen. Rijana war so wenigstens für eine kurze Weile von ihren Sorgen abgelenkt.
Dann, an einem verregneten Frühlingstag, ein Gewitter hing über den nördlichen Bergen, kam plötzlich Neljas Falke angeflogen. Rijana bekam davon nichts mit, weil sie gerade auf dem Weg zum nahegelegenen Bach war, um dort zu baden. Zauberer Tomis, der draußen Wache gehalten hatte, holte Nelja, die mit wachsender Besorgnis die Nachricht las.
»Sie sind angegriffen worden und mussten nach Süden flüchten, zur Meerenge«, sagte sie mit bestürztem Gesichtsausdruck. »Fünf Männer sind tot.«
»Ich hole die anderen«, rief Tovion und lief davon.
»Wir brechen auf«, entschied Brogan sofort.
In fliegender Eile packten sie das Nötigste zusammen. Rittmeister Londov gab ihnen außerdem fünfundzwanzig Krieger als Begleitung mit.
Rudrinn holte Rijana, die gerade mit nassen Haaren auf dem Rückweg war. Er wusste nicht, wie er ihr das Ganze möglichst schonend beibringen sollte, aber sie sah ihm ohnehin gleich an, dass etwas nicht stimmte.
»Was ist los?«
»Ariac und die anderen sind in Schwierigkeiten, aber wir brechen sofort auf.«
Rijana wurde kreidebleich, dann nickte sie und eilte zu den Höhlen. Sie lief hinein, holte ihre Sachen und war schon
wieder auf dem Pferd, bevor die anderen überhaupt fertiggepackt hatten.
»Beeilt euch«, drängte sie, während Lenya ungeduldig unter ihr tänzelte.
»Keine Angst, Rijana«, versprach Brogan. »Wir, die König Greedeons Pferde haben, reiten voraus, wir sind schneller.«
Vergeblich versuchte Rijana, die Panik niederzukämpfen, die sie die ganze Zeit verspürt hatte. Sie wusste, dass Ariac in Gefahr war. Tagelang galoppierten sie in südliche Richtung. Rijana trieb sie noch zusätzlich an und gönnte ihnen kaum eine Pause. Die Krieger, die weniger gute und ausdauernde Pferde hatten, folgten. An einer Stelle entgingen sie nur knapp einer Patrouille der Blutroten Schatten. Im letzten Augenblick legte Brogan einen Tarnzauber über die kleine Gruppe, damit sie unentdeckt blieben.
Ihre Sorgen wuchsen nur umso mehr, als Neljas Falke ohne Nachricht zurückkehrte.
Alle Versuche, Rijana zu beruhigen, scheiterten. Sie trieb ihre Stute unerbittlich vorwärts und gab keinen Ton von sich. Es wurde immer gefährlicher, denn große Gruppen von Blutroten Schatten waren überall. Langsam näherten sie sich dem Meer, aber bisher fehlte von Ariac und den anderen jede Spur. Dann, eines Tages, lief ihnen ein
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