Throne of Glass – Die Erwählte
Aber wenn heute Abend wirklich etwas passierte …
Celaena öffnete die Tür zu ihrem Ankleideraum und betrachtete die glitzernden Kleider an den Wänden. Chaol würde vollkommen ausrasten, wenn sie auf dem Ball auftauchte, aber damit konnte sie leben.
Denn bei dem Gedanken, er könnte verletzt werden – oder Schlimmeres –, erschien ihr nahezu jedes Risiko gerechtfertigt.
~
»Werdet Ihr nicht einmal am Julfest lächeln?«, fragte sie Chaol, während sie aus dem Schloss hinaus zu dem im östlichen Garten gelegenen Glastempel gingen.
»Wenn ich rote Zähne hätte, würde ich sicher niemals lächeln«,erwiderte er. »Gebt Euch mit einer gelegentlichen Grimasse zufrieden.« Sie zeigte ihm die Zähne und schloss dann schnell den Mund, weil mehrere Höflinge mit Dienern im Schlepptau vorbeikamen. »Ich bin überrascht, dass Ihr Euch nicht mehr beklagt.«
»Worüber?« Warum scherzte Chaol nie mit ihr, so wie Dorian? Vielleicht fand er sie wirklich nicht attraktiv. Dieser Gedanke traf sie mehr, als ihr lieb war.
»Darüber, dass Ihr heute Abend nicht auf den Ball geht.« Er warf ihr einen Seitenblick zu. Er konnte nicht wissen, was sie vorhatte. Philippa hatte versprochen, das Geheimnis für sich zu behalten und keine Fragen zu stellen, als Celaena sie gebeten hatte, ein Kleid und eine passende Maske zu besorgen.
»Nun, offenbar traut Ihr mir immer noch nicht genug.« Sie wollte vorlaut klingen, konnte aber einen bissigen Unterton nicht unterdrücken. Sie hatte wirklich nicht die Zeit, sich über jemanden den Kopf zu zerbrechen, der über den lächerlichen Wettkampf hinaus eindeutig kein Interesse an ihr hatte.
Chaol schnaubte, auch wenn der Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen auftauchte. Der Kronprinz brachte sie wenigstens nie dazu, sich blöd oder gemein vorzukommen. Chaol provozierte sie einfach … Er hatte aber auch seine guten Seiten. Und sie wusste gar nicht mehr, wann sie aufgehört hatte, ihn so sehr zu hassen.
Trotzdem würde er nicht begeistert sein, wenn sie heute Abend auf dem Ball auftauchte. Mit oder ohne Maske, Chaol würde sie erkennen. Sie hoffte nur, dass er sie nicht allzu streng bestrafte.
37
C elaena saß auf einer Bank im hinteren Teil des geräumigen Tempels und kniff ihren Mund so fest zusammen, dass es wehtat. Ihre Zähne waren immer noch rot und sie konnte darauf verzichten, dass jemand sie darauf aufmerksam machte.
Der Tempel war ein wunderschöner Ort, ganz aus Glas gebaut. Vom ursprünglichen Steintempel, den der König von Adarlan abgerissen und durch den Glasbau ersetzt hatte, war nur noch der Kalksteinboden übrig. Darauf waren etwa hundert Bänke aus Palisanderholz in zwei Blöcken angeordnet. Als Dach diente eine gläserne Kuppel, die so viel Licht hineinließ, dass tagsüber keine Kerzen gebraucht wurden. Nun türmte sich darauf der Schnee und der ganze Raum war mit Mustern aus Sonnenflecken überzogen. Da die Wände ebenfalls aus Glas waren, schienen die bunten Fenster über dem Altar in der Luft zu schweben.
Celaena stand auf, um über die Menschen vor ihr nach vorne zu spähen. Dorian und die Königin saßen auf der ersten Bank, direkt dahinter in einer Reihe ihre Leibwachen. Auf der anderen Seite des Mittelgangs bemerkte sie den Herzog und Kaltain, dahinter Nehemia und mehrere andere, die sie nicht kannte. Nox und die anderen verbleibenden Champions konnte sie nicht entdecken – auch Cain nicht. Hierher durfte sie also, aber nicht auf den Ball?
»Setzt Euch hin«, knurrte Chaol und zog an ihrem grünen Kleid. Missmutig ließ Celaena sich auf die gepolsterte Bank fallen. Mehrere Leute starrten sie an. Sie trugen so aufwendige Kleider und Jacken, dass sie sich fragte, ob man den Ball auf die Mittagszeit vorverlegt hatte.
In diesem Moment stieg die Hohepriesterin die Stufen zum Altar empor und hob die Arme. Sie trug ein wallendes Gewand aus einem nachtblauen, hauchdünnen Stoff und das lange, weiße Haar fiel ihr offen über die Schultern. Auf ihre Stirn war ein achtzackiger Stern tätowiert, der farblich zu ihrem Kleid passte und dessen spitze Enden bis zum Haaransatz reichten. »Seid alle willkommen und möge der Segen der Göttin und all ihrer Götter mit Euch sein.« Ihre Stimme hallte durch den Raum bis in die letzte Reihe.
Celaena unterdrückte ein Gähnen. Sie respektierte die Götter – vielleicht gab es sie ja wirklich – und manchmal bat sie sie auch um Hilfe, aber Gottesdienste waren … brutal.
Seit vielen Jahren hatte sie nicht mehr an so
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