Throne of Glass – Die Erwählte
gerettet. Wie hatte sie glauben können, dass Nehemia diese Kreatur herbeirief? Sie musste ihrer Freundin die Wahrheit sagen. »Mein Name ist Celaena Sardothien.«
Nehemia öffnete den Mund und schüttelte langsam den Kopf. »Aber Celaena Sardothien wurde nach Endovier gebracht. Du müsstest doch in Endovier sein und …« Ihre Augen weiteten sich. »Du sprichst das Eyllwe der Bauern – der Leute, die in Endovier alsSklaven schuften. Dort hast du es gelernt.« Celaena fiel es schwer zu atmen. Nehemias Lippen zitterten. »Du warst – du warst in Endovier? Endovier ist ein Todeslager. Aber … warum hast du mir das nicht erzählt? Vertraust du mir nicht?«
»Natürlich vertraue ich dir«, antwortete Celaena. Vor allem jetzt, wo zweifelsfrei bewiesen war, dass die Prinzessin die Morde nicht begangen hatte. »Aber auf Befehl des Königs darf ich kein Wort darüber sagen.«
»Kein Wort worüber?«, gab Nehemia scharf zurück, während sie ihre Tränen wegblinzelte. »Der König weiß, dass du hier bist? Er gibt dir Befehle?«
»Ich bin zu seinem Vergnügen hier.« Celaena setzte sich gerade im Bett auf. »Ich bin hier, weil er einen Wettkampf veranstaltet, um einen Champion auszuwählen. Und nachdem ich gewonnen habe – falls ich gewinne –, muss ich dem König vier Jahre als Lakai und Assassine dienen. Danach bin ich frei und kann meinen Namen wieder tragen.«
Nehemia sah sie vorwurfsvoll an.
»Meinst du etwa, ich bin gern hier?«, rief Celaena, obwohl ihr Kopf dabei fast zerbarst. »Entweder das hier oder Endovier. Ich habe keine Wahl.« Sie legte sich die Hände aufs Herz. »Bevor du mir eine Moralpredigt hältst oder wegrennst und dich hinter deinen Leibwachen versteckst, hör mir zu: Ich frage mich in jeder einzelnen Minute, wie es wohl sein wird, für ihn zu töten – für den Mann, der alles zerstört hat, was mir wichtig war, absolut alles!«
Ihr Atem ging schneller, als in ihrem Gedächtnis eine Tür aufschwang und die vergessen geglaubten Bilder aufblitzten. Sie schloss die Augen und hoffte, dass die Dunkelheit wiederkehren würde. Nehemia schwieg noch immer. Fleetfoot winselte. In der Stille hallten Menschen, Orte und Worte in Celaenas Gedanken wider.
Dann hörte sie Schritte. Sie holten sie zurück. Die Matratze gabächzend und seufzend nach, als Nehemia sich neben sie setzte. Ein zweites, leichteres Gewicht kam dazu – Fleetfoot.
Celaena spürte Nehemias warme, trockene Hand. Sie öffnete die Augen, blickte aber zur gegenüberliegenden Wand.
Nehemia drückte ihre Hand. »Du bist meine liebste Freundin, Celaena. Es hat mich verletzt – mehr, als mir vorher bewusst war –, dass unsere Freundschaft so abgekühlt ist. Dass du mich so misstrauisch angesehen hast. So einen Ausdruck will ich nie wieder in deinen Augen sehen! Deshalb möchte ich dir etwas geben, was ich bisher nur ganz wenigen gegeben habe.« Ihre dunklen Augen strahlten. »Namen sind unwichtig. Es zählt nur, was in dir liegt. Ich weiß, was du in Endovier durchgemacht hast. Ich weiß, was meine Leute dort Tag für Tag ertragen müssen. Aber du hast nicht zugelassen, dass die Minen dich hart machen, deine Seele hat sich nicht in Grausamkeit geflüchtet.«
Die Prinzessin malte ein Zeichen auf Celaenas Hand, drückte dabei fest auf ihre Haut. »Du trägst viele Namen und so will auch ich dir einen Namen geben.« Sie hob die Hand und versah Celaenas Stirn ebenfalls mit einem unsichtbaren Zeichen. »Ich werde dich Elentiya nennen.« Sie küsste die Assassinin auf die Stirn. »Du sollst diesen Namen in Ehren halten und ihn benutzen, wenn andere Namen zu schwer werden. Ich nenne dich Elentiya, ›Geist, der nicht gebrochen wurde‹.«
Celaena rührte sich nicht. Sie konnte den Namen wie einen schimmernden Schleier auf sich herabsinken sehen. Das hier war bedingungslose Liebe. Solche Freunde gab es eigentlich gar nicht. Warum hatte ausgerechnet sie das Glück, so eine Freundin gefunden zu haben?
»Komm«, sagte Nehemia fröhlich. »Erzähl mir, wie du Adarlans Assassinin geworden und in diesem Schloss gelandet bist. Und was es genau mit diesem absurden Wettkampf auf sich hat.« Celaenalächelte leicht, als Fleetfoot mit dem Schwanz wedelte und an Nehemias Arm leckte.
Die Prinzessin hatte ihr das Leben gerettet – aber wie? Das würde sie später erfahren. Also begann sie zu erzählen.
~
Am nächsten Morgen ging Celaena an Chaols Seite, die Augen auf den Flurboden geheftet. Der Schnee im Garten reflektierte die Sonne und
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