Throne of Glass – Die Erwählte
Augen aufmachte und etwas entdeckte. Etwas … etwas Totes stand vor ihr.
Es war ein Mann mit bleicher, verwesender Haut. Seine Augen brannten rot und er deutete mit abgehackten, steifen Bewegungenauf sie. Seine spitzen Zähne waren so lang, dass sie kaum in seinen Mund passten.
Wohin war die Welt verschwunden? Das mussten die Halluzinationen sein. Plötzlich wurde sie zurückgerissen. Licht blitzte auf und ihre Augen traten aus den Höhlen, als Cain sie nah am Rand des Kreises zu Boden warf.
Ein Schatten schob sich vor die Sonne. Es war vorbei. Jetzt würde sie sterben – sterben oder verlieren und nach Endovier zurückgeschickt werden. Es war vorbei. Vorbei.
In ihrem Gesichtsfeld tauchten zwei schwarze Stiefel auf, dann zwei Knie, als jemand am Rand des Rings in die Hocke ging.
»Steh auf«, flüsterte Chaol. Sie konnte ihm nicht ins Gesicht sehen. Es war vorbei.
Cain fing an zu lachen, und sie spürte das Dröhnen seiner Schritte, während er im Ring umherlief. »Ist das alles, was du zu bieten hast?«, brüllte er triumphierend. Celaena zitterte. Die Welt ging unter, in Nebel, Dunkelheit und Stimmengewirr.
»Steh auf«, wiederholte Chaol, diesmal lauter. Sie konnte nur auf die weiße Kreidelinie starren, die den Ring bildete.
Cain hatte Dinge gesagt, die er nicht wissen konnte – er hatte sie in ihren Augen gesehen. Und wenn er ihre Vergangenheit kannte … Sie wimmerte und hasste sich selbst dafür, genau wie für die Tränen, die ihr übers Gesicht liefen und auf den Boden tropften. Alles war vorbei.
»Celaena«, sagte Chaol sanft. Und dann hörte sie ein Schaben und sah, wie seine Hand sich über die Steinplatten in ihr Blickfeld schob. Seine Fingerspitzen hielten genau am Rand der weißen Linie an. »Celaena«, wisperte er. Aus seiner Stimme sprach Schmerz – und Hoffnung. Das war alles, was sie noch hatte: seine ausgestreckte Hand und das Versprechen von Hoffnung, von etwas Besserem, das auf der anderen Seite der Linie auf sie wartete.
Ihr wurde fast wieder schwarz vor Augen, als sie ihren Armbewegte, aber sie streckte ihn lang aus, bis ihre Fingerspitzen die Kreidelinie berührten. Dort ließ sie sie liegen, wenige Millimeter von Chaol entfernt, nur durch die breite, weiße Markierung getrennt.
Sie richtete die Augen auf sein Gesicht und bemerkte das silberne Leuchten in seinem Blick. »Steh auf«, sagte er nur.
Und in diesem Moment hatte nur noch sein Gesicht Bedeutung. Sie machte eine Bewegung und konnte das Schluchzen nicht unterdrücken, als der Schmerz ihren Körper überflutete und sie lähmte. Dennoch hing sie an seinen braunen Augen, an seinen fest zusammengepressten Lippen, die sich voneinander lösten und flüsterten: »Steh auf.«
Sie zog den Arm von der Linie weg und legte die Handfläche auf den eiskalten Boden. Ohne den Blick von ihm zu wenden, bewegte sie die andere Hand unter die Brust. Während sie sich hochdrückte und ihre Schulter beinah wegknickte, verbiss sie sich einen Schmerzensschrei. Sie nahm das gesunde Bein zu Hilfe. Als sie stand, spürte sie das Dröhnen von Cains Schritten und sah, wie Chaol die Augen aufriss.
Die Welt drehte sich schwarz und blau und neblig, als Cain sie packte und noch einmal mit dem Gesicht gegen den Uhrenturm schleuderte. Als sie nun die Augen öffnete, hatte die Welt sich verändert. Überall war es schwarz. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass dies mehr war als nur eine Halluzination – alles, was sie sah, existierte hinter dem Schleier ihrer Welt wirklich, die giftige Droge hatte nur ihr Bewusstsein dafür geöffnet.
Da waren jetzt zwei Wesen und eines hatte Flügel. Es grinste, grinste, als ob –
Noch ehe Celaena schreien konnte, hatte es sich schon in die Luft geschwungen, sie zu Boden geworfen und hackte mit seinen Krallen nach ihr. Sie wand sich. Wo war die Welt geblieben? Wo war sie hingeraten?
Da waren noch andere und es tauchten immer mehr auf. Die Toten, Dämonen, Ungeheuer – sie wollten sie. Sie riefen ihren Namen. Manche von ihnen hatten Flügel und die, die keine hatten, wurden von den anderen durch die Luft getragen.
Im Vorbeifliegen hackten sie nach ihr, ihre Krallen rissen ihr das Fleisch auf. Sie wollten sie in ihr Reich holen, der Turm war das sperrangelweit geöffnete Portal. Sie würde verschlungen werden. Panische Angst – Angst, wie sie sie noch nie erlebt hatte – übernahm jetzt die Führung. Celaena hielt sich schützend den Arm über den Kopf, als sie über sie hinwegflogen, und stieß blind
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