Throne of Glass – Die Erwählte
deshalb richtete Celaena den Blick stattdessen auf die gewaltige Eingangstür. Die Flügel bestanden aus mattem rotem Glas und kamen ihr vor wie der weit aufgerissene Mund eines Riesen. Aber drinnen konnte sie Stein erkennen und sie hatte den Eindruck, dass das gläserne Schloss auf das ursprüngliche Gebäude draufgesetzt worden war. Was für eine lächerliche Idee: ein Schloss aus Glas.
»Nun«, sagte Dorian. »Ihr habt ein bisschen zugenommen und Eure Haut hat ein wenig Farbe bekommen. Willkommen bei mir zu Hause, Celaena Sardothien.« Er nickte einigen vorbeigehenden Edelleuten zu, die einen Kratzfuß machten. »Morgen fängt der Wettkampf an. Captain Westfall wird Euch Eure Zimmer zeigen.«
Sie straffte die Schultern und blickte sich suchend nach ihren Gegnern um. Doch niemand anders schien anzukommen.
Der Kronprinz nickte einem weiteren Grüppchen von gurrenden Höflingen zu und sah weder die Assassinin noch den Captain der Garde an, als er weitersprach. »Ich muss zu meinem Vater«, erklärte er und ließ den Blick über den Körper einer besonders hübschen Dame gleiten. Er zwinkerte ihr zu und sie versteckte im Davongehen ihr Gesicht hinter einem Spitzenfächer. Dorian nickte Chaol zu. »Wir sehen uns später am Abend.« Ohne ein Wort zu Celaena lief er mit wehendem rotem Umhang die Stufen zum Schloss hinauf.
~
Der Kronprinz hielt Wort. Ihre Gemächer lagen in einem Flügel des steinernen Schlosses und waren viel größer, als sie erwartet hatte. Sie bestanden aus einem Schlafzimmer mit einem angrenzenden Bad und einer Ankleide, einem kleinen Speiseraum sowie einemMusik- und Spielzimmer. Alle Räume waren in Gold und Purpurrot gehalten, in ihrem Schlafzimmer hing zudem ein riesiger Gobelin an der Wand und es standen geschmackvoll angeordnet Sofas und dick gepolsterte Stühle herum. Vom Balkon aus blickte man auf einen Springbrunnen in einem der Gärten, und egal welcher es auch sein mochte – wenn man die Wachen ausblendete, die unter dem Balkon postiert waren, war er wunderschön.
Chaol ließ sie allein, und noch bevor er die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog Celaena sich in ihr Schlafzimmer zurück. Zwischen ihren anerkennenden Kommentaren während Chaols kurzer Führung durch ihre Gemächer hatte sie gezählt: zwölf Fenster, ein Ausgang und neun Wachen, die vor ihrer Tür, den Fenstern und dem Balkon postiert waren. Alle waren mit Schwert, Messer und Armbrust bewaffnet. Als ihr Captain vorbeigegangen war, wirkten sie zwar wachsam, aber Celaena wusste, dass es nicht gerade leicht war, eine Armbrust stundenlang im Anschlag zu halten.
Celaena robbte zu ihrem Schlafzimmerfenster, drückte sich an die Marmorwand und sah nach unten. Tatsächlich hatten die Wachen die Armbrüste bereits wieder auf den Rücken geschnallt. Bis sie die Waffe ergriffen und geladen hatten, würden sie kostbare Sekunden verlieren – Sekunden, in denen sie ihnen mit ihren eigenen Schwertern die Kehle durchschneiden und im Gebüsch verschwinden konnte. Lächelnd trat sie jetzt auf den Balkon, um den Garten zu betrachten. Das gegenüberliegende Ende wurde von den Bäumen eines Wildparks begrenzt. Sie hatte schon genug vom Schloss gesehen, um zu wissen, dass sie sich auf der Südseite befand, und wenn sie den Wildpark durchquerte, würde sie zu einer Steinmauer gelangen, hinter der der Avery River lag.
Celaena öffnete die Türen ihres Kleiderschranks und die Schubladen ihrer Kommode und ihres Toilettentischs. Natürlich waren da keine Waffen, nicht einmal ein Schürhaken, aber sie schnappte sichdie wenigen beinernen Haarnadeln, die hinten in einer Kommodenschublade lagen, und ein Stück Bindfaden aus dem Flickkorb in ihrer riesigen Ankleide. Keine Nähnadeln. Sie kniete sich auf den Teppich des Ankleideraums – in dem kein einziges Kleid hing –, und, die Tür hinter sich immer im Auge, bearbeitete sie rasch die Haarnadeln, brach die Enden ab und band sie mit der Schnur alle zusammen. Als sie fertig war, hielt sie das Bündel hoch und runzelte die Stirn.
Es war kein richtiges Messer, aber so zusammengebunden konnten die gezackten Spitzen der abgebrochenen Haarnadeln schon Schaden anrichten. Sie fuhr mit dem Finger darüber und zuckte zusammen, als ein Knochensplitter ihr in die schwielige Haut stach. Ja, wenn sie dieses Ding einem Wachsoldaten in den Nacken rammte, würde es ganz bestimmt wehtun. Und ihn lange genug außer Gefecht setzen, damit sie sich seine Waffen schnappen konnte.
Gähnend ging Celaena ins
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