Throne of Glass – Die Erwählte
mehr davon?«
»Wenn man danach sucht, findet man bestimmt welche.« Celaena ließ sich aus dem Garten führen, weg vom Schatten des Uhrturms, zurück in die marmornen Flure des Schlosses. So sehr sie sich auch bemühte und obwohl sie eine ziemlich lange Strecke zurücklegten, wurde sie das Gefühl nicht los, dass die Glotzaugen des Wasserspeiers immer noch auf ihr ruhten.
Sie kamen an den Küchenräumen vorbei, in denen ein Durcheinander aus lautem Geschrei, in der Luft hängenden Mehlwolken und lodernden Flammen herrschte. Kurz darauf betraten sie einen langen Flur, leer und still bis auf das Geräusch ihrer Schritte. Plötzlich blieb Celaena stehen. »Was«, hauchte sie, »ist das?« Sie deutete auf sechs Meter hohe Eichentüren und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Drachen, die rechts und links aus der Steinwand wuchsen. Drachen mit vier Beinen – nicht die bösartigen, zweibeinigen Wyvern des königlichen Wappens.
»Die Bibliothek.« Die beiden Wörter trafen sie wie ein Blitz.
»Die …« Sie betrachtete die klauenförmigen eisernen Türklinken. »Können wir – dürfen wir hineingehen?«
Widerstrebend drückte der Captain der Garde die Klinke nach unten und seine kräftigen Rückenmuskeln zeichneten sich unter seinem Hemd ab, als er sich gegen das schwere Eichenholz stemmte.Verglichen mit dem sonnendurchfluteten Flur wirkte der Raum vor ihnen stockdunkel, aber als Celaena hineinging, konnte sie Kandelaber erkennen, einen schwarz-weißen Marmorboden, lange Mahagonitische mit roten Samtstühlen, ein heruntergebranntes Feuer, Galerien, Brücken, Leitern, Geländer und schließlich Bücher – Bücher, Bücher, Bücher.
Sie hatte eine Welt betreten, die ganz aus Leder und Papier bestand. Celaena legte die Hand aufs Herz. Zum Teufel mit den Fluchtwegen. »So was habe ich noch nie gesehen – wie viele Bände stehen hier?«
Chaol zuckte mit den Schultern. »Das letzte Mal, als sich jemand die Mühe gemacht hat zu zählen, waren es eine Million. Aber das ist zweihundert Jahre her. Vielleicht sind es sogar noch mehr, man erzählt sich nämlich auch, es gäbe noch eine zweite Bibliothek, ganz tief unten in den Katakomben und Tunneln.«
»Über eine Million? Eine Million Bücher ?« Ihr Herz hüpfte und tanzte und sie musste lächeln. »Ich würde sterben, noch bevor ich die Hälfte gelesen hätte!«
»Ihr lest gern?«
Celaenas rechte Augenbraue wanderte nach oben. »Ihr nicht?« Ohne die Antwort abzuwarten, ging sie weiter in die Bibliothek hinein, die Schleppe ihres Kleides schleifte über den Boden. Sie trat vor ein Regal und las die Titel. Sie kannte keinen einzigen.
Strahlend wirbelte sie durch den Mittelgang und ließ dabei die Hand über die verstaubten Bände gleiten. »Ich wusste gar nicht, dass Assassinen gern lesen«, rief Chaol. Wenn sie jetzt sterben würde, wäre es in einem Zustand absoluter Glückseligkeit. »Ihr habt gesagt, Ihr seid aus Terrasen; habt Ihr jemals die Große Bibliothek von Orynth gesehen? Man sagt, sie sei doppelt so groß wie diese gewesen – und dass sie früher das gesamte Weltwissen umfasste.«
Celaena wandte sich von dem Regal ab, das sie sich gerade angesehenhatte. »Ja«, erwiderte sie. »Als ich noch ganz klein war. Aber ich durfte nichts anfassen – die Gelehrten hatten viel zu viel Angst, ich könnte ein wertvolles Manuskript beschädigen.« Seither war sie nicht wieder in der Großen Bibliothek gewesen – und fragte sich, wie viele der unendlich wertvollen Werke der König von Adarlan nach seinem Magieverbot hatte vernichten lassen. Aus der Art, wie Chaol mit einem Anflug von Traurigkeit »früher« gesagt hatte, schloss sie, dass viel verloren gegangen war. Aber zugleich hegte sie die Hoffnung, dass die Gelehrten viele der kostbaren Bände in Sicherheit gebracht hatten – dass die verknöcherten alten Männer nach der Abschlachtung der Königsfamilie und dem Einmarsch des Königs von Adarlan genug gesunden Menschenverstand gehabt hatten, die Erfahrungen und Erkenntnisse aus zweitausend Jahren zu verstecken.
In Celaena brach ein toter, leerer Raum auf. Sie spürte, sie musste das Thema wechseln, und fragte: »Warum ist niemand von Euren Leuten hier?«
»In einer Bibliothek sind keine Wachen nötig.« Oh, wie sehr er sich da täuschte! Bibliotheken steckten voller Ideen – vielleicht die gefährlichsten und mächtigsten aller Waffen.
Sie sagte: »Ich meinte Eure adligen Gefährten.«
Chaol lehnte sich an einen Tisch, eine Hand immer
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