Throne of Glass – Die Erwählte
die Kugel zu treffen, und verfehlte sie wieder.
»Ihr bewegt Euren Körper nicht richtig. Hier, lasst es mich Euch zeigen.«
Es war der älteste und schamloseste Trick der Welt. Er legte den Arm um sie und ergriff die Hand, die das Queue hielt. Dann brachte er die Finger ihrer anderen Hand in Position, bevor er leicht ihr Handgelenk berührte. Zu Dorians Schreck wurden seine Wangen heiß.
Mit einem Seitenblick auf sie stellte er erleichtert fest, dass sie genauso rot war wie er. Wenn nicht noch mehr.
»Wenn Ihr nicht aufhört, mich anzutatschen, und endlich mit der Anleitung beginnt, reiße ich Euch die Augen aus und stopfe Euch stattdessen diese Billardkugeln in die Höhlen.«
»Also, Ihr müsst einfach nur …« Er erklärte es ihr Schritt für Schritt und diesmal traf sie die Kugel sanft. Sie rollte auf eine Ecke zu und ging über die Bande ins Loch. Er trat einen Schritt zurück und grinste. »Seht Ihr? Es geht doch, wenn Ihr es richtig macht. Versucht es noch einmal.« Er nahm sein Queue wieder. Sie schnaubte, stellte sich aber in Position, zielte und traf. Die weiße Kugel schoss quer über den Tisch und verursachte ein Durcheinander. Aber wenigstens hatte sie getroffen.
Er griff nach dem Dreieck und hielt es hoch. »Lust auf ein Spiel?«
~
Die Uhr schlug zwei, als sie aufhörten. Er hatte eine Auswahl Desserts bestellt, die während ihres Spiels gebracht wurden, und obwohl sie protestiert hatte, verschlang sie ein großes Stück Schokoladenkuchen und aß sogar noch die Hälfte von seinem.
Er gewann jedes Spiel, aber das fiel ihr kaum auf. Solange sie die Kugel traf, gab sie schamlos an. Wenn sie sie verfehlte – nun, dann stellten ihre Wutausbrüche selbst die Feuer der Hölle in den Schatten. Er konnte sich nicht erinnern, wann er jemals so gelacht hatte.
Wenn sie nicht fluchte oder schimpfte, sprachen sie über Bücher, die sie beide gelesen hatten. Wie es so aus ihr heraussprudelte, kam es ihm vor, als wäre sie seit Jahren stumm gewesen, und er befürchtete, der Fluss der Worte könnte plötzlich wieder versiegen. Sie war schrecklich klug. Sie verstand ihn, wenn er über Geschichte oder Politik sprach – obwohl sie behauptete, das Thema zu hassen –, und sie hatte sogar einiges zum Theater zu sagen. Irgendwie kam es dazu, dass er ihr versprach, sie nach dem Wettkampf zu einer Aufführung mitzunehmen. Danach trat kurz verlegenes Schweigen ein, das aber schnell verflog.
Dorian hatte sich in einen Sessel gefläzt und stützte den Kopf in die Hand. Sie lag quer auf dem Sessel gegenüber, ihre Beine baumelten über einer Armlehne. Mit halb geschlossenen Lidern starrte sie ins Feuer. »Woran denkt Ihr?«, fragte er.
»Keine Ahnung«, sagte sie. Sie ließ den Kopf auf die Armlehne zurücksinken. »Glaubt Ihr, die Morde an Xavier und den anderen Champions waren geplant?«
»Vielleicht. Macht das einen Unterschied?«
»Nein.« Sie hob träge die Hand. »Egal.«
Bevor er noch etwas fragen konnte, war sie eingeschlafen.
Er hätte gerne mehr über ihre Vergangenheit gewusst. Chaol hatte ihm nur erzählt, dass sie aus Terrasen stammte und ihre Familietot war. Er hatte keinen blassen Schimmer, wie ihr früheres Leben aussah, wie sie Assassinin geworden war oder Pianoforte spielen gelernt hatte. Alles war ein großes Geheimnis.
Er wollte alles über sie wissen. Am liebsten von ihr selbst. Dorian stand auf und reckte sich. Er stellte die Queues in die Wandhalterung, schob die Kugeln zusammen und ging dann zu der schlummernden Assassinin. Er schüttelte sie sanft und sie knurrte unwillig. »Vielleicht wollt Ihr jetzt lieber im Sessel schlafen, aber morgen früh werdet Ihr es bitter bereuen.«
Sie öffnete die Augen einen winzigen Spalt, stand auf und schlurfte zur Tür. Als sie fast den Türpfosten rammte, entschied er, dass sie einen führenden Arm brauchte, bevor sie sich noch etwas brach. Vorsichtig lenkte er sie in ihr Schlafzimmer, versuchte, nicht an die warme Haut unter seiner Hand zu denken, und sah dann dabei zu, wie sie zum Bett wankte und sich auf die Decke fallen ließ.
»Da sind Eure Bücher«, murmelte sie und zeigte auf einen Stapel neben dem Bett. Langsam betrat er den Raum. Sie lag mit geschlossenen Augen reglos da. Drei Kerzen brannten an verschiedenen Stellen. Seufzend ging er herum und blies sie aus, bevor er ans Bett trat. Schlief sie bereits?
»Gute Nacht, Celaena«, sagte er. Es war das erste Mal, dass er sie bei ihrem richtigen Namen nannte. Er ging ihm leicht von der
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