Thunderhead - Schlucht des Verderbens
und hastete in den Alkoven hinein. Nachdem sie über die niedrige Begrenzungsmauer gesprungen war, lief sie über den Hauptplatz in die Dunkelheit zwischen den Häuserblöcken.
Dort hielt sie an und lehnte sich schluchzend mit dem Rücken an eine Wand. Ihr Atem ging keuchend, und vom raschen Laufen hatte sie Seitenstechen. Vor dem Alkoven rauschte beständig der Regen, aber Nora glaubte noch immer den Schuss zu hören, der durch das nächtliche Tal gegellt war. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Sloane mit der Waffe in der Hand vor Bills Zelt stehen. Sloane musste Bill gefunden und ihn ermordet haben. Nora war so überwältigt von Schmerz und Verzweiflung, dass sie einen Augenblick lang sogar daran dachte, sich einfach auf den Hauptplatz zu stellen und auf Sloane zu warten, um sich ebenfalls von ihr erschießen zu lassen.
Ein Blitz zuckte über den Himmel, und der Donnerschlag, der ihm folgte, hallte laut in dem großen Hohlraum des Alkovens wider. Allein schon vom Aufenthalt in der Stadt wurde Nora übel. Es gab nur einen Ort, an dem sie noch eine Chance hatte, und das war Aragons Tunnel hinter den Kornspeichern.
Nora huschte über den Platz, wobei sie darauf achtete, möglichst wenig Spuren im Staub zu hinterlassen. Wenn sie sich in dem Tunnel versteckte, konnte sie Sloane vielleicht auflauern und ihr die Waffe entreißen...
Unentschlossen blieb Nora stehen. Was sie machte, war dumm. Sie handelte in Panik und traf falsche Entscheidungen. Nicht nur, dass sie in dem Tunnel in der Falle saß, er war außerdem voll von dem tödlichen Pilzstaub.
Wieder flammte draußen ein Blitz aus den Wolken, in dessen Licht sie Sloane mit der Pistole in der Hand gerade über dem Rand der Klippe auftauchen sah.
»Nora!«, hörte sie Sloane laut rufen. »Nora, um Gottes willen, warten Sie!«
Nora wirbelte herum und rannte los in Richtung auf die hintere Wand des Alkovens.
Ein weiterer Blitz zerriss den Nachthimmel und warf für Sekundenbruchteile ein bläuliches Licht ins Dunkel der alten Stadt. Einen Augenblick später krachte der Donner vom Himmel herab, dichtauf gefolgt von einem zweiten Geräusch: einem Schuss, der in dem Alkoven erschreckend laut widerhallte.
Nora verbarg sich in den dunkelsten Schatten und schlich, so rasch sie es wagen konnte, an der Wand entlang zu dem Abfallhaufen. Sie achtete darauf, nicht auf Blacks Abdeckplanen zu treten, und arbeitete sich in Richtung auf den ersten Turm vor, der schwarz und massiv unmittelbar vor ihr aufragte.
Als sie von hinten heranhastende Schritte hörte, versteckte sie sich hinter der Ecke des Turmes, an dem noch die alte Pfahlleiter aus der Zeit der Anasazi lehnte. Weil das Geräusch im Alkoven gespenstisch widerhallte, konnte Nora nicht sagen, aus welcher Richtung es genau kam. Sie brauchte Zeit, um nachzudenken, um sich einen Plan zurechtzulegen. Jetzt, da Sloane in der Stadt war, konnte sie sich vielleicht unbemerkt zu der Strickleiter zurückschleichen, hinunter ins Tal klettern und...
Die Schritte klangen auf einmal ganz nah. Nora hörte keuchendes Atmen, und dann sah sie Sloane um die Vorderseite des Turmes biegen.
Voller Verzweiflung schaute sich Nora nach einer Fluchtmöglichkeit um: Da war der Abfallhaufen, dort der schmale Durchgang, der zu Aragons Tunnel führte, und auf der andere Seite der Pfad hinaus auf den Felssims hoch über dem Tal. Alle drei Richtungen waren Sackgassen, in denen Sloane sie irgendwann einholen würde. Langsam drehte Nora sich um und wartete schicksalsergeben auf das, was jetzt unweigerlich kommen musste: das Knallen des Schusses, der stechende Schmerz und schließlich das Ende.
Aber Sloane hatte es gar nicht auf sie abgesehen. Sie ging am Rand des Turmes in die Hocke und spähte vorsichtig um die Ecke. Die linke Hand hatte sie flach auf die schwer atmende Brust gepresst, die rechte hielt die Pistole, die nicht auf Nora, sondern hinaus in die Dunkelheit des Platzes gerichtet war.
»Nora, hören Sie mir zu«, keuchte Sloane. »Etwas verfolgt uns.«
»Etwas?«, wiederholte Nora.
»Etwas Schreckliches.«
Nora starrte Sloane an. Was ist das jetzt wieder für ein Trick?, fragte sie sich. Selbst im blassen Licht des Mondes konnte sie in Sloanes mandelförmigen Augen eine Mischung aus Angst, Erstaunen und aufkeimender Panik erkennen.
»Ich flehe Sie an, schauen Sie nach hinten!«, bat Sloane, während sie sich wieder abwandte.
Sloanes eindringlicher Ton ließ Nora tun, was von ihr verlangt wurde. Ihr Mund war auf einmal wie
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