Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
er die beiden. Eylidh begrub ihn unter einem Übermaß aus Liebe. Sie küsste und liebkoste ihn, durchstrubbelte bei jeder Gelegenheit sein wild wucherndes rotes Haar, und sie erzog ihn in den Gebräuchen ihres Volkes, das vor mehreren Generationen aus dem Norden Eires kommend nach Islay geraten war. Es schien, als wolle sie ihn mit aller Gewalt zu einem der Ihren machen, ohne auch nur zu ahnen, dass sich Alebin seiner Herkunft bewusst war.
Auch Cay tat sein Bestes, um ihn nach seinem Geschmack zu formen und ihn mit den Gepflogenheiten der Menschen vertraut zu machen. Er zwang ihn, die alten, tradierten Riten zu befolgen; er zeigte ihm, wie man Wild erlegte und was es bedeutete, eine Familie zu ernähren.
Als Alebin zehn Jahre alt war, packte ihn sein Ziehvater und führte ihn ins Zentrum eines nahe gelegenen Steinkreises, wo er in einer schmucklosen Zeremonie das siebenjährige Mädchen eines Nachbarn zur Frau erhielt. Die Göre starrte ihn verständnislos an. Alebin jedoch wusste ganz genau, was ihn erwartete, sobald das Mädchen geschlechtsreif war. Nach Beendigung der Zeremonie ging jeder wieder seiner Wege; doch Alebin und seine Frau würden sich von nun an in regelmäßigen Abständen treffen.
Er musste so schnell wie möglich aus dieser Hölle verschwinden, er musste! Das Leben in der Menschenwelt war primitiv, uninspiriert,
falsch
. Diese Halbaffen standen zwar in spiritueller Verbindung zur
Welt nebenan
, aber sie waren nicht in der Lage, von ihrer Seite aus dorthin vorzudringen. Sie waren auf das Gutdünken eines Elfen angewiesen.
Alebin war zu schwach, um seine Fluchtpläne allein zu verwirklichen. Noch fehlte ihm das Wissen, um in die Welt seiner Mutter zurückzukehren. Wer die Tore öffnen wollte, brauchte weit mehr als die Erinnerung an Sprüche und Bewegungsabläufe. Jemand musste Alebin helfen, ihn anlernen. Jemand musste ihm zeigen, wie er die Zauber bewirken konnte, nach denen er sich sehnte.
»Du bist aber ein hübscher Junge!«, durchbrach eine kräftige, selbstbewusst klingende Stimme seine trüben Gedanken.
Alebin schreckte hoch und sah sich um. Abseits des Trampelpfades, der hinab zur Bucht führte, lehnte sich ein schlanker Mann gegen einen der wenigen Krüppelbäume. Er stieß sich von der Borke ab und trat aus dem Schatten.
Seine Augen!
, erschrak Alebin.
So leuchtend, so hell, so blau
…
»Wer bist du?«, fragte er mit klopfendem Herzen.
»Ein Freund«, antwortete der Fremde und zeigte ein verschmitztes Gesicht. »Zumindest könnten wir Freunde werden. Wenn du es willst.« Er schnippte mit seinen Fingern. Eine bläuliche Flamme tauchte wie aus dem Nichts auf und tanzte über seine Kleidung.
Alebins Herz tat einen Sprung. Ein Elf! Auf der Insel!
»Nein, nein.« Der Mann lachte, als hätte er Alebins Gedanken erraten. »Ich bin keiner deiner Leute. Bloß ein Reisender zwischen den Welten.« Er drehte sich nach allen Seiten um und fügte verschwörerisch flüsternd hinzu: »Aber ich weiß, was
du
bist.«
»Ich weiß nicht einmal selbst, wer oder was ich bin!« Die Worte rutschten aus Alebins Mund, bevor er auch nur daran denken konnte, dass er damit sein größtes Geheimnis vor einem Fremden offenbarte.
»Ich kann deinen Elfengeist sehen, kleiner Freund. Ich lese in deinen Augen und in deinem Kopf, was du bist, und ich fühle, was mit deiner Seele geschieht.«
»Seele? Ich habe keine!«
»Bist du dir sicher? Kannst du dir nicht vorstellen, dass Mutter Erde einen schädlichen Einfluss auf dich ausübt?«
Alebin schwieg. Angst erfasste ihn. Sagte sein Gegenüber die Wahrheit?
Er tat ein paar Schritte zurück, hin zum Pfad, und dann machte er, dass er wegkam. Der Kerl war ihm unheimlich. Das war kein Elf, sondern etwas ganz anderes. Etwas, das er trotz seines Verstandes nicht einordnen konnte.
So schnell er konnte, lief Alebin zum Haus der Zieheltern, deren Gegenwart ihm erstmals in seinem Leben so etwas wie Sicherheit bedeutete. Keuchend nahm er den kleinen Hügel in Angriff, setzte mit letzter Kraft über die Kuppel hinweg, nahm auf der abschüssigen Wiese Schwung. Die Kate, die versteckt hinter ein paar Sträuchern und unweit des Baches lag, war fast schon in Sichtweite …
»Du bist flink!«, sagte der Unbekannte. Er saß auf dem großen Pendelstein, den Cay so gern zur ersten Pause nutzte, wenn er die Schafe vom Wohnpferch zur Weide trieb. Wie, bei allen Göttern, hatte er ihn überholt?
Alebin stemmte die Beine mit aller Kraft in den Boden, wollte abbremsen. Seine
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