Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
Füße überkreuzten sich, und, pardauz!, lag er auf der Nase. Seine ausgestreckten Hände rieben über die Kiesel, die Cay irgendwann gestreut hatte. Haut riss, als sich die Steine schmerzlich in sein Fleisch gruben.
»An deiner Sturztechnik musst du allerdings noch feilen.«
Der Mann trat so rasch zu ihm, dass Alebin seinen Bewegungen nicht folgen konnte. Hände packten ihn, stellten ihn auf die Beine. Er konnte nichts anderes tun, als auszuharren, vor Angst zu zittern und darauf zu warten, dass der Unheimliche mit ihm tat, was immer er wollte.
»Ich habe nichts Böses im Sinn, kleiner Elf. Ganz im Gegenteil. Lass mich deine Hände sehen.« Der Fremde packte Alebin an den Unterarmen und drehte die blutverschmierten Handflächen nach oben. »Das ist halb so schlimm«, befand er nach einem prüfenden Blick. Er griff in einen Beutel, den er am ledernen Gurt trug, zog einen hölzernen Tiegel hervor, löste den Korkstöpsel und holte eine Fingerspitze fettiger Masse hervor, die er sachte auf die verletzten Stellen strich. »Du wirst sehen, in ein paar Stunden ist alles vollständig verheilt.«
»Danke.« Alebin wollte sich losreißen, Distanz zwischen sich und den Mann bringen. Doch er konnte sich nicht aus dessen ehernem Griff befreien.
Wieder wallte die Angst hoch. Seine Zieheltern hatten ihm eingetrichtert, die Gegenwart von Unbekannten zu meiden – und obwohl er eigentlich wenig Wert auf ihre Ratschläge legte, kam ihm dieser nun unendlich wichtig vor. Die Bewohner von Islay lebten in Furcht vor Angriffen anderer Völkergruppen, die von benachbarten Inseln eifersüchtig auf dieses einigermaßen begünstigte Land herüberlugten. Konflikte wurden prinzipiell mit der Waffe ausgetragen, Überfälle waren fast an der Tagesordnung. Nicht umsonst existierten auf Islay mehrere Brochs, leicht zu verteidigende Steinforts, die von den Bewohnern in regelmäßigen Abständen aufgesucht wurden.
»Deine Zieheltern haben dich verdorben«, klagte der Mann nachdenklich. »Wenn du nicht aufpasst, wirst du zu einem von ihnen.«
»Niemals!«, stieß Alebin hervor, all seine Angst vergessend. »Ich bin kein stinkender Mensch, ich bin … ich bin …«
»Wenn du mir erlaubst, dir zu helfen, mache ich dich zum Herrscher über die Menschen«, sagte der Fremde. Dann ließ er Alebin los und ging davon, nicht ohne ihm über die Schulter zuzurufen: »Wenn du an meinem Angebot interessiert bist, treffen wir uns morgen am selben Ort zur selben Zeit. Gehab dich wohl, kleiner Elf …«
Alebin schlich sich zum Krüppelbaum, sobald sich die Möglichkeit ergab. Mit laut pochendem Herzen wartete er auf das Erscheinen des geheimnisvollen Fremden.
Als die Sonne zu sinken begann, tauchte er auf. Einfach so. Er trat hinter dem Stamm des Baumes hervor, streckte sich und tat, als hätte er ein Mittagsschläfchen gehalten.
»Wer bist du wirklich?«, fragte der Mann anstelle einer Begrüßung. Er griff zwischen die Äste, zog einen rotgrün gefiederten Vogel zwischen dem Blattwerk hervor und stopfte ihn sich in den Mund. Nach wenigen Sekunden spuckte er ihn wieder aus. Ein formloser Klumpen fiel zu Boden – und wandelte sich zu einem Molch, der rasch davonkroch.
»Ich bin ein Elf«, antwortete Alebin unsicher, »und stamme aus dem Reich der Sidhe Crain.«
»Bist du dir sicher?«
»Natürlich!«
»Lass mich nachdenken, kleiner Alebin.« Sein Gegenüber spuckte noch ein paar Federn aus. Sie schaukelten so langsam zu Boden, als herrsche kein Wind, der sie hätte forttragen müssen. »Du glaubst, dich an etwas zu erinnern. Du meinst, aus dem Reich der Elfen ausgestoßen worden zu sein, um hier, bei den Menschen, ein Leben in der Verbannung verbringen zu müssen. Und das hältst du für ungerecht, stimmt’s?«
»Natürlich!« Alebin ballte die Hände. »Meine Mutter hat mich verstoßen. Sie …«
»Wie heißt deine Mutter?«
»K… keine Ahnung.«
»Wie sieht sie aus? War sie wirklich eine Elfe?«
»Ich habe sie nur einen Augenblick lang gesehen, aber …«
»Mit den Augen eines Neugeborenen! Eines halb blinden Geschöpfes, das wenige Momente zuvor aus dem Mutterleib herausgepresst worden war und keine Ahnung hatte, was mit ihm geschah.«
»Aber ich kann mich ganz genau erinnern, wie ich mich gefühlt habe. Eine innere Stimme sagte mir …«
»Soso. Du hörst also innere Stimmen. Wenn dein Menschenvater davon wüsste, würde er dich einem Heiler übergeben, und der wiederum würde dir mit einer scharfen Klinge die Schädeldecke
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