Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
machen würde.
So trieb er weiter, weiter, weiter. Unruhig, von Dämonen gejagt – und selbst auf der Jagd nach seinem Schatten. Immerhin konnte sich ein sonst so treuer Begleiter ja unmöglich in Luft auflösen! Merlin musste ihn gebannt und versteckt haben. Irgendwo auf der Welt der Menschen existierte zweifellos ein Ort, der ein klein bisschen zu viel an Schatten aufwies.
Keiner der Druiden, Weisen oder Heilkundigen, denen er auf seinen Reisen begegnete, half ihm weiter. Manch einer kannte Merlin und sprach in höchster Wertschätzung von dem Zauberer. Doch niemand wusste, wo er zu finden war. Er galt als Wesen, das kraft seines Geistes von einem Ort zum nächsten wechselte – und angeblich sogar quer durch die Zeitenlinien glitt.
Irgendwann wurde Alebin seine Respektlosigkeit zum Verhängnis. Nachdem er Freund und Feind im Kampf gleichermaßen verhöhnt hatte, verbündeten sie sich kurzerhand und fielen gemeinsam über ihn her. Sie droschen auf den Elfen ein, fesselten und folterten ihn in der Hoffnung, die bösen Geister aus seinem Kopf zu vertreiben – oder ihn zu töten. Weder der eine noch der andere Wunsch ging ihnen in Erfüllung.
Alebin war von Menschenhand nicht umzubringen. Als er zu sich kam, lag er unter tonnenschweren Trümmern vergraben. Er benötigte mehr als zwei Jahre, um sich mithilfe seiner Zähne und seiner Nägel aus dieser misslichen Lage zu befreien und zurück an die Oberfläche zu gelangen.
»Wer bist du?«, fragte das kaum handgroße Geschöpf misstrauisch, als sich Alebin dem Steinkreis näherte. »Ich habe dich niemals zuvor hier gesehen.«
»Mein Name tut nichts zur Sache«, antwortete er forsch. »Ich bin ein Geschöpf der
anderen Seite
, wie du sicherlich fühlen kannst. Es ist mein gutes Recht, hinüberzuwechseln.«
»Was Recht ist und was nicht, bestimme immer noch ich!«, sagte der Winzling – und blies sich augenblicklich zu einer Schreckensgestalt von gut und gern zehn Fuß Höhe auf. »Ich bin der Wächter dieses Tores. Niemand kommt an mir vorbei, wenn ich es nicht will.«
»So?« Alebin gab sich möglichst unbeeindruckt. »Ich möchte deine Autorität keinesfalls infrage stellen – aber ich habe keine Zeit und vor allem keine Lust, meine Kräfte an dir zu messen.«
»Das wirst du wohl müssen, kleiner Mann. Andernfalls bleibt dir nur, diesen Ort umgehend zu verlassen und darauf zu hoffen, dass ich deine Unverschämtheiten vergesse.«
»Also schön.« Alebin drehte sich beiseite und tat, als wolle er sich den Winterumhang vom Hals knöpfen. Die Luft war frostig kalt. Eine dünne Schicht Raureif überzog den nahe gelegenen See, ebenso die kahlen Äste der Laubbäume rings um den Steinkreis.
Der Elf ließ sich Zeit und nestelte ungeschickt am Lederknoten umher. So lange, bis er mit seinem feinen Gehör registrierte, dass der kleine, große Mann näher an ihn herangetreten war. »Wird’s jetzt bald?«, fragte der Torwächter. »Ich kann es kaum erwarten, dir eine Lektion zu erteil…«
Blitzschnell drehte sich Alebin um. Das Schwert, das er unter dem Mantel getragen hatte, glitt wie von selbst in seine Hand. Mit aller Wucht zog er durch und schlitzte den Hals des Gegners auf. Kein Blut drang aus der schrecklichen Wunde, und noch bevor der Riese den Boden berührte, war sein Schicksal besiegelt. Er schrumpfte zurück auf seine ursprüngliche Größe und nahm das Aussehen einer warzenüberzogenen Kröte an. Der Wächter, ein Fabel-Mischwesen, hatte lediglich geblufft.
Alebin nahm den Kleinen in die Hand und beobachtete sein Sterben. Die Kröte würde mit weit aufgerissenem Maul und hervorquellenden Augen ins Reich der Toten gleiten.
Sobald es zu Ende war, schleuderte Alebin seinen Gegner weit, weit von sich. Der Leichnam prallte auf der dünnen Eisschicht des Sees auf, schlitterte eine Weile dahin, um irgendwo in eine Lücke zu plumpsen und gluckernd im Wasser zu versinken.
»Es ist an der Zeit, dass ich nach Hause komme«, murmelte Alebin. »Mutter wird sich freuen, wenn ich ihr einen Besuch abstatte.«
Das Ritual des Übertritts war ihm bekannt. Merlin hatte es ihn gelehrt, ihn aber davor gewarnt, den Weg ins Elfenreich zu gehen und nach den Spuren seiner Herkunft zu suchen. Doch nun, da er wusste, dass der Zauberer niemals mehr wieder zu ihm zurückkehren würde, fühlte sich Alebin aller Verpflichtungen ihm gegenüber entbunden.
»Dir wird nicht gefallen, was du im Reich der Elfen zu sehen bekommst«, hatte Merlin gesagt. »Du solltest dem Schicksal
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