Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
danken, dass du nicht auf der
anderen Seite
aufgewachsen bist.«
Was kümmerte Alebin das Geschwätz des Alten, der ihn so schmählich im Stich gelassen hatte? Diese Erde hatte ihren Reiz verloren, und er, Alebin, hatte nichts mehr auf ihr zu suchen. Vielleicht würde er im Elfenreich Erlösung finden; dort, wo endloses Zwielicht herrschte und sich die Schatten zitternd und bibbernd im Untergrund verkrochen.
Er stellte sich in die Mitte des Steinkreises, sprach die notwendigen Worte und tat die erforderlichen Bewegungen. Alles rings um ihn verschwamm, alles änderte sich, alles verschob sich.
Nachdem sich Alebins Bewusstsein geklärt hatte, atmete er frische, von ungewöhnlichen Düften beherrschte Luft. Das Gras unter seinen Füßen kitzelte. Die langen, weichen Halme verbeugten sich in Demut. Ein Regenwurm lugte aus seinem frisch gegrabenen Loch und grüßte respektvoll. Auch die Vogelschar in einem nahen Baum entsandte ihm ein Willkommenszwitschern.
Alebin lächelte, zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren. Die Erinnerung an den Tag seiner Geburt war mit einem Mal wieder da, deutlicher als je zuvor. Niemals in seinem Leben hatte er so etwas wie Heimweh empfunden. Nun aber, da er die Heimat seiner Eltern erreicht hatte, konnte er fühlen, wie sich eine Wunde in seinem Leib schloss. Er war wieder
ganz
.
»Wohin des Weges, guter Mann?«, fragte ein Elf, der ihm auf dem kaum erkennbaren Trampelpfad entgegenkam. Er ritt auf einer kentaurischen Schindmähre, deren menschlich-weibliche Gesichtszüge leer und interesselos wirkten.
»Ich bin auf der Suche«, entgegnete Alebin abweisend.
»Sind wir das nicht alle?« Der Elf verbeugte sich und sprang elegant von seinem Tiermenschen. »Ich bin Raveyth Vomland, Bartträger und -wäscher des Edelsten Herrn Clynvanth Oso Megh. Und du bist …?«
»Alebin.«
Falls der Elf enttäuscht über seine wortkarge Vorstellung war, zeigte er es nicht; wie er überhaupt ein ungewöhnlich geschwätziger und aufdringlicher Vertreter seiner Sippe zu sein schien.
»Es ist nicht mehr weit bis zum Sitz meines Herrn. Es wäre mir eine Ehre, wenn du mich begleiten und das karge Abendbrot mit mir teilen würdest.«
»Warum nicht?«, entgegnete Alebin, um nach längerem Überlegen ein »Danke« hinterherzuschieben. Es war lange her, dass er sich mit einem Gleichrangigen unterhalten hatte.
Sie gingen nebeneinander; die Kentauren-Frau folgte in einigen Schritten Abstand und graste leise schmatzend. »Kommst du aus dem Menschenreich?«, fragte Raveyth nach einer Weile.
»Woher willst du das wissen?«
»Die Primitiven üben einen seltsamen Einfluss auf uns Elfen aus. Sie nehmen uns Teile unserer … unserer Würde weg und geben uns dafür etwas anderes. Etwas Seltsames, das Reisende wie dich aus der Menge hervorstechen lässt. Allerdings habe ich den Einfluss des Menschentums niemals zuvor bei einem der Unseren so stark gespürt wie bei dir.«
»Du hast recht«, sagte Alebin zögerlich. »Ich habe lange Zeit bei und mit ihnen verbracht. Das Menscheln ist in der Tat ansteckend.«
»Kannst du es beschreiben? Wie ist es? Wie fühlt es sich an?« Da war mehr als Interesse in Raveyths Frage. Es hörte sich nach … nach Gier an.
»Man muss es selbst erlebt haben«, antwortete Alebin zurückhaltend. »Es lässt sich nicht in Worte fassen.«
»Schade.« Der Bartträger des Clynvanth Oso Megh wirkte enttäuscht, um schon mit dem nächsten Atemzug zu seiner Unbekümmertheit zurückzufinden. »Aber wir bekommen während des heutigen Gelages sicherlich noch ausreichend Gelegenheit, über die Menschen zu philosophieren.«
»Gelage?« Alebin staunte. »Sagtest du nicht, du würdest
ein karges Mahl
mit mir teilen?«
Raveyth lachte. Es klang glockenhell. »Man könnte glauben, dass du im Erdenreich alles vergessen hättest, mein Freund!«
Es gab gepökeltes Fleisch, sauren Wein, Nuss- und Bierbrot, exotische Gemüse, kandierte Früchte und leicht berauschenden Pfeffertee. Die Balken bogen sich, als die Mahlzeit aufgetischt wurde, und dennoch fühlte sich Clynvanth Oso Megh immer wieder bemüßigt, sich wegen der Bescheidenheit des Mahls zu entschuldigen.
Alebin redete möglichst wenig. Er konzentrierte sich vielmehr auf den Klatsch und den Tratsch, der ringsum mit Wonne weiterverbreitet wurde, und er lauschte heimlich den Erzählungen des Küchenpersonals. Dort tummelten sich Zwerge, Menschen, Wichtel und anderes Volk, während die edleren Elfen Abstand wahrten und gerne unter sich blieben.
Der
Weitere Kostenlose Bücher