Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
Boden gleiten, legte sorgfältig mehrere Äste über den Sterbenden und machte sich auf den Weg zu den Stallungen. Dort sattelte er Raveyths Kentaurin und nahm sie am Dornenzügel mit sich. Er verließ Cloisom, ohne sich noch einmal umzudrehen oder auf seine Bewohner zu achten.
Dies war kein Ort für ihn. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass ihn Clynvanth Oso Megh verfolgen ließ, würde die Überraschung seines Lebens auf den Herrscher dieses kleinen Landflecks warten. Sicherlich hatte er es niemals zuvor mit einem Elfen zu tun gehabt, der so schrecklich und unbarmherzig zu kämpfen vermochte wie ein Mensch.
Gerüchte und Hörensagen gaben Alebin ein Ziel vor. Das Anwesen seiner Mutter lag nicht weit entfernt. Eingeklemmt war es in einem schmalen Trogtal, das vor langer Zeit von einem Riesen mit seiner Axt in ein eisiges Gebirge geschlagen worden war.
Alebins Anspannung stieg. Jahrzehntelang hatte er keinen Gedanken an jene Frau vergeudet, die ihn geboren und unmittelbar danach aus der Elfenwelt verbannt hatte. Doch nun, da die Begegnung mit ihr bevorstand, kehrten die alten, längst verdrängten Erinnerungen zurück. Er war mit dem Plan hierhergekommen, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Kühl und nüchtern, ohne lange darüber nachzudenken.
Aber wollte er denn nicht erfahren,
warum
sie ihn verstoßen, warum sie ihn zum Kind zweier Welten gemacht hatte, das sich weder auf der einen noch auf der anderen Seite zu Hause fühlte?
Einmal mehr tastete Alebin nach seinem Schwert. Die Klinge war durch die viele Arbeit, die sie während der letzten Jahrzehnte zu tun bekommen hatte, stumpf und schartig geworden. Der lederumwickelte Griff fühlte sich … falsch an. Einst hatte ein kaledonischer Schmied die Waffe gefertigt, und Merlin hatte sie sorgfältig präpariert. Nun aber zeigte sie Widerwillen, Alebin zu gehorchen. Würde sie ihm zu Diensten sein, wenn er sie benötigte?
Es ging beständig bergan. Die Kentaurin mühte sich über breite Schneefelder und windige Passwege. Nur selten begegnete ihnen ein Wanderer; meist handelte es sich um kälteimmune Yetus, die den schlotternden Alebin mit breitem Grinsen bedachten. Nur einmal sah er einen Elfen – ein altes, fast zu Stein gewordenes Geschöpf, das sich zögerlich bergauf bewegte. Es gab zu verstehen, dass es das Dach des Elfenreiches erreichen wollte, um dort mitzuhelfen, die brüchig gewordene Decke abzustützen.
Alebin scherte sich nicht weiter um den Narren; diese Welt war voll von ihnen. Er weigerte sich, sich auf die Verwicklungen zwischen Elfengeschlechtern, wiedergeborenen Gottheiten, vermeintlich ausgestorbenen Völkern und Wesen, die sich selbst herbeigedacht hatten, einzulassen. Diese Sphäre bot so viele Wunder, dass das Wundersame längst zur Normalität geworden war.
Es kostete Alebin viel Zeit und noch mehr Mühe, den Einstieg in das heimatliche Tal zu finden. Er begann als schmale Spalte, verborgen zwischen Felsbrocken, die wie hingewürfelt über einer Eisebene verteilt dalagen. Schließlich führte ihn der Instinkt der Kentaurin auf den richtigen Weg; vorbei an abgenagten Mammutknochen und riesigen Totenköpfen, die auf Lanzen aus Glas steckten.
Ihr Anblick schreckte Alebin nicht. Er hatte zu viele Kämpfe miterlebt und überlebt, um auch nur einen Moment lang Respekt oder gar Angst zu empfinden. Stattdessen gab er der sich verzweifelt aufbäumenden Kentaurin die Sporen und trieb sie in die Talkerbe, die mitunter so schmal war, dass seine Schultern links und rechts über Gestein streiften.
Ymir, Yama und Yima, drei altehrwürdige Gottheiten, herrschten angeblich seit Urgedenken in diesen Landen. Sie galten als herrschsüchtig und wild, kannten keine Gnade und spielten mit ihren wenigen Besuchern wie die Katze mit der Maus.
Ammenmärchen!
, dachte Alebin. Um die Befindlichkeiten irgendwelcher höhergestellten Wesen hatte er sich noch nie gesorgt. Lediglich Merlin, der Zauberer, hatte ihm Respekt abgerungen. Sollte ihm eine dieser mythischen Gestalten in den Weg treten, würde er sie mit einem Atemzauber vom Antlitz der Elfenwelt hauchen.
Allmählich verbreiterte sich die Schlucht. Zwischen Schnee und Eis zeigten sich braune Flecken, das Gurgeln schmelzenden Wassers machte sich immer lauter bemerkbar. Der Pfad wurde nun als solcher erkennbar. Er umrundete schroffe Gesteinsbrocken, in schwindelnden Höhen führte er über hölzerne Schwingbrücken – um völlig unerwartet, nach einem scharfen Rechtsknick, hinab in ein Paradies zu führen.
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