Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
verschwanden, als wären sie nie zu sehen gewesen. Alebin würde den beiden viel, viel Zeit geben, um das Gehörte zu verarbeiten – und sich Sorgen zu machen.
Gierig zog er Luft durch die Nase. Der sanfte Windzug, der die Kerzen im Thronsaal zum Flackern brachte, trug den Geruch nach Triumph und Sieg mit sich.
»Ich ziehe mich für einige Tage in meine privaten Räumlichkeiten zurück, um weitere Vorbereitungen zur Sicherung von Lyonesse zu treffen«, rief er den Mitgliedern des Hofstaates zu. »Koinosthea wird euch ab morgen an meiner statt Anordnungen geben. Gehorcht ihr, wie ihr mir gehorcht. Und jetzt verschwindet!«
Elfen, Zwerge, Idisen, Menschen und alle anderen Zuhörer verließen den Thronsaal leisen Schrittes. Sie wirkten wie betäubt. Alebin hatte sie alle geschockt. Ein wehrloses Kind zu verletzen galt sowohl im Menschenals auch im Elfenreich als unverzeihlicher Tabubruch. Auch Cunomorus, der längst jegliche Achtung unter den Bewohnern von Lyonesse verloren hatte, schlich sich aus dem Raum.
Seine Untergebenen würden sich an diese härtere Gangart gewöhnen müssen, und sie würden irgendwann akzeptieren, dass Alebins Härte notwendig war.
Einzig Nadja tat ihm nicht den Gefallen, sich lautlos zu verabschieden. Nach wie vor schrie und tobte sie, und selbst nachdem sich die schweren Tore hinter ihr geschlossen hatten, vernahm er ihre Stimme noch lange Zeit. Nun, sie würde sich beruhigen, wenn sie ihren Sohn am nächsten Tag völlig unversehrt in den Arm gelegt bekam.
Bald war der Thronsaal leer. Nur die Bestie blieb bei Alebin – und Talamh, den er nach wie vor hielt.
»War das denn so schwer, mein Kleines?«, fragte er und streichelte dem Baby über den Haarflaum. Die Wunde am Unterarm blutete heftig, und wenn Alebin nicht bald etwas unternahm, würde es ein böses Ende mit dem Kind nehmen.
Seltsam. Selbst er, der diesen perfiden Plan ausgeheckt hatte, war auf die Illusion hereingefallen. Es fiel ihm schwer, die Wahrheit hinter dem Schein zu erkennen.
»Wach auf, mein Kleines!«, sagte er und murmelte die notwendigen Beschwörungen. Der Körper in seinen Armen wurde noch schwerer und größer. Die unfertigen Gesichtszüge des Kindes machten denen einer erwachsenen Frau Platz; aus Babyspeck formten sich weibliche Rundungen. Der dröge Blick lebloser Augen bewies Alebin, dass sein Opfer kaum mitbekommen hatte, was mit ihm geschehen war.
Er dachte an seine Versuche zurück, den
wahren
Talamh zu verletzen. Es war ihm nicht gelungen; weder mit einem einfachen Messer noch mit einem von Magie umspülten Dolch. Nadjas Kind schützte sich bereits so gut, dass es ihm nicht einmal vergönnt war, in seine unmittelbare Nähe vorzudringen, geschweige denn es anzufassen. Also hatte er zu einer List gegriffen und einen der vielen Zaubersprüche angewandt, die ihm Merlin während ihrer gemeinsamen Jahre ans Herz gelegt hatte.
Die Umwandlung war vollzogen. Alebin ließ die Faserelfe Cyrwyth auf den steinernen Boden fallen. Sie wirkte völlig überfordert von dem, was rings um sie geschehen war. Sichtlich langsam kam ihr zum Bewusstsein, dass sie wieder sie selbst war. Die tiefe, heftig blutende Schnittwunde an ihrer Rechten beobachtete sie, als sei ihr die ganze Hand fremd.
»Wende dich an einen der Heildruiden«, riet Alebin dem willenlosen Geschöpf. »Er wird dich versorgen. Oder aber …«
»Ja?«
Cyrwyth redete! Sie zeigte tatsächlich Interesse an dem, was ihr Alebin zu sagen hatte!
»Oder aber du lässt
es
geschehen«, sprach er mit sanfter Stimme zu Ende.
Gespannt wartete er auf eine Reaktion der Faserelfe. Er favorisierte die zweite Alternative, sein unmoralisches Angebot. Cyrwyth war eine Zeugin, egal wie unbedeutend und leer. Ihre bloße Existenz vergrößerte das Risiko, dass seine kleine Scharade irgendwann aufgedeckt wurde. »Es wird nicht wehtun«, versprach er mit schmeichelnder, anheimelnder Stimme. So als würde er mit einem Freund über Bedeutungsloses plaudern. »Du wirst müde werden, der Kopf und die Glieder schwer, und irgendwann gleitest du in einen tiefen Schlaf, aus dem dich der Graue Mann Samhain weckt und ins Reich Annuyn leitet. Möchtest du das?« Dabei gab er seiner Stimme jenen sanften und betörenden Klang, der kaum einmal seine Wirkung bei den Frauen verfehlte.
Cyrwyth, die traurige, leere Faserelfe, benötigte eine Weile, bis sie Alebins Worte zusammengefügt und in ihre beschränkte Begriffswelt übernommen hatte. Dann nickte sie langsam. »Ich bin einverstanden«,
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