Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
worden war. Mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen las Acheron das Titelblatt:
Jane Eyre
von
CURRER BELL
Okt. ’47
Eigentlich wollte Hades das Buch einstecken und mitnehmen, doch die Geschichte hatte ihm immer schon gefallen. Und so gab er der Versuchung nach, schlug das Manuskript auf und begann zu lesen.
Er hatte die Stelle aufgeschlagen, wo Jane im Bett liegt und plötzlich ein leises, dämonisches Lachen von der Türe her hört. Als sie erleichtert feststellt, daß das Gelächter nicht aus ihrem Zimmer kommt, steht sie auf, schiebt den Türriegel zurück und ruft hinaus:
»Wer ist da?«
Statt einer Antwort hört sie jemanden glucksen und stöhnen. Dann entfernen sich schwere Schritte, und eine Tür fällt ins Schloß. Jane zieht sich ihr Kleid an, wirft sich ein Tuch um die Schultern, entriegelt die Tür, öffnet sie einen Spaltbreit und späht vorsichtig hinaus. Auf dem Boden entdeckt sie eine brennende Kerze und bemerkt überdies, daß der Flur voller Rauch ist. Dann hört sie Rochesters halboffene Zimmertür knarren und sieht den Flackerschein züngelnder Flammen.
Im Nu ist alles andere vergessen. Jane stürzt in Rochesters brennende Kammer und versucht den Schlafenden zu wecken mit den Worten:
»Aufwachen! Aufwachen!«
Doch Rochester rührt sich nicht, und mit wachsendem Entsetzen stellt Jane fest, daß das Bettzeug schon angesengt ist und jeden Moment Feuer fangen wird. Sie rennt zum Waschtisch, nimmt Becken und Krug, die beide mit Wasser gefüllt sind, schüttet sie über Rochester aus und läuft dann in ihr eigenes Zimmer, um Nachschub zu holen und auch die Vorhänge noch mit Wasser zu besprengen. Mit Mühe gelingt es ihr, den Brand zu löschen, aber als Rochester endlich erwacht und merkt, daß er in einer Pfütze liegt, stößt er wilde Verwünschungen aus und sagt zu Jane: »Haben wir eine Überschwemmung?«
»Keine Überschwemmung, Herr«, antwortet sie. »Aber es hat gebrannt. Rasch, stehen Sie auf; Sie sind ganz naß. Ich hole Ihnen eine Kerze.«
Rochester hat noch immer nicht begriffen, was geschehen ist.
»Bei allen Elfen der Christenheit, ist das nicht Jane Eyre?« fragt er.
»Was hast du mit mir gemacht, du Hexe, du Zauberin! Wer ist bei dir? Wolltet ihr mich ertränken?«
»Drehen Sie sich
gaaanz
langsam um«, sagte der Wachmann und unterbrach Acheron rüde in seiner Lektüre.
»Es ist doch
immer
dasselbe!« lamentierte Hades und wandte sich zu dem Sicherheitsbeamten um, der seine Waffe auf ihn gerichtet hielt. »
Gerade
wenn’s am schönsten ist!«
»Rühren Sie sich nicht vom Fleck, und legen Sie das Manuskript hin.«
Acheron gehorchte. Der Wachmann löste das Walkie-talkie von seinem Gürtel und hielt es sich an den Mund.
»Das würde ich nicht tun«, sagte Acheron leise.
»Ach ja?« gab der Wachmann dreist zurück. »Und wieso nicht, wenn ich fragen darf?«
»Weil«, antwortete Acheron langsam und blickte dem Wachmann tief in die Augen, »Sie dann nie erfahren werden, weshalb Ihre Frau Sie verlassen hat.«
Der Wachmann ließ sein Walkie-talkie sinken.
»Woher kennen Sie meine Denise?«
Ich träumte unruhig. Ich war wieder auf der Krim, im Ohr das unausgesetzte Donnern der Geschütze, das metallische Kreischen der Granaten. Staub, Kordit und Amatol, die erstickten Schreie meiner Kameraden, das ungezielte Krachen der Artillerie. Die Kanonen vom Kaliber 88 waren so nah, daß die Geschosse explodierten, bevor man sie kommen hörte. Ich saß im Transportpanzer und fuhr allen Befehlen zum Trotz ins Kampfgetümmel zurück. Ich holperte über das Grasland, vorbei an den Überresten früherer Gefechte. Plötzlich spürte ich, wie etwas Großes an meinem Fahrzeug zerrte und das Dach aufriß. Ein betörend schöner Sonnenstrahl stach in den Staub herab.
Dieselbe unsichtbare Hand ergriff den Panzer und schleuderte ihn in die Luft. Er balancierte ein paar Meter weit auf einer Kette und sackte dann wieder in die Waagerechte. Der Motor lief noch, die Steuerung schien zu funktionieren; ich fuhr weiter, ohne den Schaden zu bemerken. Erst als ich die Hand nach dem Schalter des Funkgeräts ausstreckte, registrierte ich, daß das Dach nicht mehr da war. Eine ernüchternde Entdeckung, aber zum Nachdenken hatte ich jetzt keine Zeit. Vor mir lagen die qualmenden Überreste der Leichten Panzer-Brigade. Die russischen 88er schwiegen; statt dessen tobte ein wildes Gefecht mit Maschinengewehren und Handfeuerwaffen. Ich hielt bei der erstbesten Gruppe von Verwundeten und öffnete
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