Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
gerettet.«
Bowden sah auf seine Uhr. »Nach Yorkshire ist es noch ein ganzes Stück. Wir sind frühestens um … Holla, was ist das?«
Auf der Autobahn schien sich ein Unfall ereignet zu haben. Es standen schon mehr als zwei Dutzend Autos im Stau. Als wir auch nach ein paar Minuten noch nicht vom Fleck gekommen waren, lenkte ich den Wagen auf den Standstreifen und rollte langsam zur Spitze der Kolonne. Ein Verkehrspolizist hielt uns an, warf einen skeptischen Blick auf die Einschußlöcher in der Karosserie und sagte: »Tut mir leid, Ma’am. Ich kann Sie hier nicht …«
Aber als ich meine alte SO-5-Marke zückte, war er wie ausgewechselt: »Tut mir leid, Ma’am. Aber wir haben es hier mit etwas ziemlich
Ungewöhnlichem
zu tun.«
Bowden und ich sahen uns an und stiegen aus. Eine Schar Neugieriger drängte sich hinter der Polizeiabsperrung. Schweigend verfolgten sie das Schauspiel, das sich ihnen bot. Drei Funkstreifen und ein Krankenwagen waren schon vor Ort; zwei Sanitäter behandelten einen Säugling, der in eine Decke gehüllt auf einer Trage lag und schrie.
Die Beamten waren heilfroh, daß ich da war – der ranghöchste Kollege war ein Sergeant, und jetzt konnten sie die Verantwortung auf jemand anderen abwälzen. Ein so hohes Tier wie eine SO-5-Agentin hatten die meisten von ihnen ihr Lebtag noch nicht mal
gesehen
.
Ich borgte mir ein Fernglas und blickte auf das vor uns liegende Stück Autobahn. Etwa fünfhundert Meter weiter hatten die Straße und der nächtliche Sternenhimmel eine Art Strudel gebildet, einen Trichter, der das spärliche Licht, das in den Spiralnebel eindrang, zerlegte und verformte. Ich seufzte. Mein Vater hatte mir von Zeit-Verzerrungen erzählt, aber ich hatte bisher noch nie eine gesehen.
Im Zentrum des Wirbels, wo sich das gebrochene Licht zu einem wirren Muster fügte, befand sich ein pechschwarzes Loch, das weder Farbe noch Tiefe zu besitzen schien, nur Form: ein makelloser Kreis von der Größe einer Grapefruit. Die Polizei hatte auch den Verkehr auf der Gegenfahrbahn gestoppt, und die blinkenden blauen Lichter verfärbten sich rot, sobald sie durch die Ränder der schwarzen Masse schimmerten, und die dahinterliegende Straße krümmte sich wie durch ein Marmeladenglas betrachtet. Vor dem Strudel stand ein blauer Datsun, und die Motorhaube wurde immer länger, je näher er der Zeit-Verzerrung kam. Dahinter stand ein Motorrad und dahinter – und uns am nächsten – ein grüner Kombi. Solange ich sie auch anstarrte, die Fahrzeuge rührten sich nicht von der Stelle. Der Biker, seine Maschine und die Insassen der Autos schienen steif und unbewegt wie Statuen.
»Mist!« stieß ich halblaut hervor und sah auf meine Armbanduhr.
»Wann hat sich der Wirbel geöffnet?«
»Vor gut einer Stunde«, sagte der Sergeant. »Ein Wagen des Exco-Mat-Labors hatte einen Unfall. Er hätte sich keinen ungünstigeren Zeitpunkt aussuchen können; meine Schicht war fast zu Ende.«
Er zeigte mit dem Daumen auf das Baby, das mit Schreien aufgehört und sich die Finger in den Mund geschoben hatte. »Das war der Fahrer. Vor dem Unfall war er einunddreißig. Als wir ankamen, war er acht – in ein paar Minuten ist er nur noch ein feuchter Fleck auf der Decke.«
»Haben Sie die Chrono-Garde alarmiert?«
»Ja, sicher«, antwortete er resigniert. »Aber bei Tesco in Wareham hat sich ein Zeitloch aufgetan. Die sind frühestens in vier Stunden hier.«
Ich dachte rasch nach. »Wie viele Tote hat es bis jetzt gegeben?«
»Sir«, fuhr ein Beamter dazwischen und deutete die Straße entlang, »schauen Sie sich das an!«
Tatenlos mußten wir zusehen, wie der blaue Datsun sich verzerrte und verformte, bis er schließlich wie eine Papierkugel zerknüllt und in den Schlund gezogen wurde. In Sekundenschnelle war er verschwunden, auf ein Milliardstel seiner Größe zusammengepreßt und ins Anderswo katapultiert.
Seufzend schob der Sergeant sich die Mütze in den Nacken. Er konnte nichts dagegen unternehmen.
Ich wiederholte meine Frage.
»Wie viele Tote?«
»Äh, das waren ein Lastwagen, eine komplette Fahrbücherei, zwölf Personenkraftwagen und ein Motorrad. So an die zwanzig, würde ich sagen.«
»Das ist jede Menge Materie. Bis die Chrono-Garde hier ist, könnte die Verzerrung so groß wie ein Fußballfeld sein.«
Der Sergeant zuckte die Achseln. Niemand hatte ihm beigebracht, wie man mit einer Zeitinstabilität verfuhr. Ich wandte mich an Bowden.
»Kommen Sie.«
»Was?«
»Wir haben was zu
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