Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
Gegend waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen. Wegen der Wohnungsnot in der Hauptstadt tummelte sich hier praktisch alles vom alteingesessenen Londoner über den Anwalt oder Werbeprofi bis zu Nutten und Pennern. Was der Polizei ein Dorn im Auge war, erlaubte es SpecOps-Agenten, sich unauffällig zu bewegen.
Ich kam in den siebten Stock, wo zwei junge Henry-Fielding-Fans Kaugummikarten tauschten. »Ich gebe dir meine Amelia für deine Sophia.«
»Spinnst du?« erwiderte sein Geschäftsfreund entrüstet. »Wenn du eine Sophia haben willst, mußt du mir dafür einen Allworthy, einen Tom Jones
und
deine Amelia geben!«
Als ihm klar wurde, wie selten die Sophias waren, willigte der Partner widerstrebend ein. Der Tausch war besiegelt, und sie rannten die Treppe hinunter, um nach Radkappen zu suchen. Ich verglich die Wohnungsnummern mit der Adresse, die mir Tamworth genannt hatte, und klopfte an eine pfirsichfarben gestrichene Tür, von der der Lack abblätterte. Ein Mann um die achtzig öffnete zögernd. Er verbarg eine Gesichtshälfte hinter einer runzligen Hand, und ich zeigte ihm meine Marke.
»Sie müssen Next sein«, sagte er mit einer für sein Alter erstaunlich jugendlichen Stimme. Ich ging hinein. Tamworth spähte durch ein Fernglas in ein Zimmer im Haus gegenüber und winkte mir zum Gruß, ohne aufzublicken. Ich sah den Alten lächelnd an.
»Nennen Sie mich Thursday.«
Er schüttelte mir erfreut die Hand.
»Mein Name ist Snood; Sie dürfen mich Junior nennen.«
»Snood?« wiederholte ich. »Sind Sie mit Filbert verwandt?«
Der Alte nickte.
»Ach ja, Filbert!« murmelte er. »Ein guter Junge und seinem alten Vater stets ein guter Sohn.«
Filbert Snood war der einzige Mann, der mich in den zehn Jahren seit meiner Trennung von Landen auch nur ansatzweise interessiert hatte. Snood war bei den Chrono-Garden gewesen; er war nach Tewkesbury abberufen worden und nie wieder zurückgekehrt. Eines Tages erhielt ich einen Anruf von seinem Vorgesetzten, der mir mitteilte, Filbert sei »bis auf weiteres verhindert«. Da konnte eigentlich nur eine andere Frau dahinterstecken. Es hatte wehgetan, obwohl ich in Filbert nicht verliebt gewesen war. Das wußte ich genau, in Landen
war
ich nämlich verliebt gewesen. Man spürt das, wenn es soweit ist, so wie man ein Turner-Gemälde auf Anhieb erkennt oder die Westküste Irlands.
»Dann sind Sie sein Vater?«
Snood ging in die Küche, aber so leicht kam er mir nicht davon.
»Wie geht es ihm? Wo wohnt er jetzt?«
Der Alte machte sich am Teekessel zu schaffen.
»Es fällt mir schwer, über Filbert zu sprechen«, gestand er schließlich und tupfte sich den Mundwinkel mit einem Taschentuch.
»Es ist so lange her.«
»Ist er tot?« fragte ich.
»Nein, nein«, murmelte der Alte. »Er ist nicht tot; man hat Ihnen wahrscheinlich gesagt, er sei bis auf weiteres verhindert, nicht?«
»Ja. Ich dachte, er hätte eine andere oder so.«
»Wir dachten, Sie würden das richtig deuten; Ihr Vater war oder ist vermutlich noch immer bei der Chrono-Garde, und wir bedienen uns nun mal gewisser – wie soll ich sagen? –
Euphemismen
.«
Er starrte mich unschlüssig an, aus stahlblauen Augen unter schweren Lidern. Mein Herz hämmerte wie wild.
»Wie meinen Sie das?« fragte ich.
Der Alte schien noch etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber doch anders, hielt einen Moment inne und schlurfte ins Wohnzimmer zurück, um Videobänder zu beschriften. Es steckte offensichtlich weitaus mehr dahinter als eine andere Frau in Tewkesbury, aber die Zeit arbeitete für mich. Ich ließ die Angelegenheit vorerst auf sich beruhen.
Das gab mir Gelegenheit, mich ein wenig umzuschauen. An einer feuchten Wand lehnte ein Tapeziertisch voller erstklassiger Überwachungstechnik. Ein Revox-Tonbandgerät stand neben einem kleinen Mischpult, das die Signale der sieben Abhörmikrofone in der überwachten Wohnung und der dazugehörigen Telefonleitung auf die acht Spuren des Tonbands verteilte. Am Fenster waren zwei Ferngläser, ein Fotoapparat mit leistungsstarkem Teleobjektiv sowie eine Videokamera aufgebaut, die zehn Stunden am Stück aufzeichnen konnte.
Tamworth ließ das Fernglas sinken und hob den Blick.
»Willkommen an Bord, Thursday. Sehen Sie mal hier durch.«
Ich schaute durch das Fernglas. In der Wohnung gegenüber, kaum dreißig Meter entfernt, erkannte ich einen gutgekleideten Mann um die fünfzig mit verkniffenem Gesicht und besorgter Miene. Er schien zu telefonieren.
»Das ist er
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