Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
Mordechai!« sagte ich zu dem ersten, der zur Begrüßung wippend auf und ab hüpfte. Woraufhin sie alle gekrault und gestreichelt werden wollten, und so blieb ich eine Weile und kitzelte sie unterm Kinn, während sie meine Taschen neugierig nach Marshmallows durchsuchten, einer Süßigkeit, die bei den Dodos besonders beliebt ist.
Meine Mutter öffnete die Tür, um nachzusehen, weshalb die Vögel einen solchen Radau veranstalteten, und kam dann den Gartenweg entlanggerannt, um mich willkommen zu heißen. Da meine Mutter in diesem Tempo eine echte Bedrohung darstellt, suchten die Dodos wohlweislich das Weite.
»Thursday!« rief sie mit glänzenden Augen. »Warum hast du uns denn nicht gesagt, daß du kommst?«
»Weil es dann ja keine Überraschung mehr gewesen wäre. Ich habe mich hierher versetzen lassen.«
Sie hatte mich mehrmals im Krankenhaus besucht und mich mit amüsanten Details von Margot Vishlers Hysterektomie und anderem Klatsch aus dem Hausfrauenbund von meinen Verletzungen abgelenkt.
»Was macht der Arm?«
»Er ist manchmal ein bißchen steif, und wenn ich darauf schlafe, wird er völlig taub. Der Garten sieht gut aus. Kann ich reinkommen?«
Meine Mutter schob mich unter Entschuldigungen durch die Tür, nahm mir die Jacke ab und hängte sie an die Garderobe. Da sie ängstlich auf die Automatik in meinem Schulterholster starrte, stopfte ich die Waffe in meinen Koffer. Im Haus hatte sich, wie ich bald merkte, nichts, aber auch gar nichts verändert: dasselbe Chaos, dieselben Möbel, derselbe Geruch. Ich blickte mich um, ließ alles auf mich wirken und suhlte mich in liebgewordenen Erinnerungen. Hier in Swindon hatte ich das letzte Mal so etwas wie Glück empfunden, und dieses Haus war zwanzig Jahre lang mein Lebensmittelpunkt gewesen. Mich beschlich das ungute Gefühl, daß ich vielleicht doch lieber hätte dableiben sollen.
Wir gingen ins Wohnzimmer, das noch immer vor schauderhaften Braun-und Grüntönen starrte und aussah wie ein Teppich-und Vorhangmuseum. Das Foto von meiner Abschlußparade an der Polizeischule stand auf dem Kaminsims, daneben eines von Anton und mir, lächelnd, in Kampfanzügen, unter der erbarmungslosen Sommersonne der Krim. Auf dem Sofa saß ein altes Pärchen und sah fern.
»Polly!… Mycroft!… Schaut mal, wer da ist!«
Meine Tante war höflich und stand zur Begrüßung auf, während mein Onkel sich mehr für das Fernsehquiz
Name that Fruit
interessierte. Er lachte schnaubend über einen schlechten Witz und winkte in meine Richtung, ohne aufzublicken.
»Hallo, Thursday,
Schätzchen
«, sagte Tante Polly. »Vorsicht, mein Make-up.«
Wir hielten die Wangen aneinander und machten laut
mmuuah
.
Mein Tante roch stark nach Lavendel und hatte so viel Make-up aufgelegt, daß selbst die gute alte Queen Bess entsetzt gewesen wäre.
»Wie geht’s, Tantchen?«
»Könnte nicht besser sein.« Sie versetzte ihrem Mann einen schmerzhaften Tritt an den Knöchel. »Mycroft, deine Nichte ist da.«
»Hallo, Kleine«, sagte er, ohne mich eines Blickes zu würdigen, und rieb sich den Fuß. Polly senkte die Stimme.
»Es ist schrecklich. Entweder sitzt er vor dem Fernseher oder bastelt in seiner Werkstatt. Manchmal habe ich das Gefühl, da drin herrscht gähnende Leere.«
Sie starrte einen Augenblick auf seinen Hinterkopf und wandte sich dann wieder mir zu.
»Bleibst du länger?«
»Thursday hat sich hierher versetzen lassen, nach Swindon.«
»Hast du abgenommen?«
»Ich treibe Sport.«
»Hast du einen Freund?«
»Nein«, antwortete ich. Die nächste Frage galt todsicher Landen.
»Hast du Landen angerufen?«
»Nein. Und
du
rufst ihn bitte auch nicht an.«
»So ein netter junger Mann. Der
Toad
hat sein letztes Buch in den höchsten Tönen gelobt:
Der letzte Schurke.
Hast du es gelesen?«
Ich gab keine Antwort.
»Gibt’s was Neues von Vater?« fragte ich.
»Daß ich das Schlafzimmer mauve gestrichen habe, hat ihm gar nicht gefallen«, sagte meine Mutter. »Wie bist du bloß darauf gekommen?«
Tante Polly winkte mich näher heran und zischte mir so laut, daß es jeder hören konnte, ins Ohr: »Du mußt deine Mutter entschuldigen; sie denkt, dein Vater hätte was mit einer
anderen
Frau!«
Mutter entschuldigte sich und stürzte unter einem fadenscheinigen Vorwand aus dem Zimmer.
Ich runzelte die Stirn. »Was denn für eine Frau?«
»Er hat sie bei der Arbeit kennengelernt – Lady Emma Soundso.«
Ich rief mir mein letztes Gespräch mit Dad ins Gedächtnis, die Geschichte
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