Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
Heimaturlaub. So etwas war durchaus nicht ungewöhnlich. Bei SO-27 hatten wir ständig ausgemusterte SO-9- und SO-7-Leute zugeteilt bekommen. Sie waren ausnahmslos verrückt gewesen.
»Sie haben meine Akte gelesen?« fragte ich vorsichtig.
»Die haben sie nicht herausgerückt«, sagte Analogy. »Es kommt nicht allzu häufig vor, daß sich ein Agent aus den schwindelnden Höhen von SpecOps-5 zu unserem kleinen Verein versetzen läßt. Wir brauchten einen kampferprobten Ersatz, der in der Lage ist … tja, wie soll ich sagen …?«
Analogy verstummte, um Worte verlegen. Bowden antwortete statt seiner.
»Wir brauchen jemanden, der im Notfall nicht vor
extremer Gewaltanwendung
zurückschreckt.«
Ich sah sie an und überlegte, ob ich ihnen nicht lieber reinen Wein einschenken sollte; schließlich hatte ich in letzter Zeit lediglich auf mein eigenes Auto sowie auf einen offensichtlich unverwundbaren Meisterverbrecher geschossen. Offiziell gehörte ich SO-27 an, nicht SO-5. Aber da es gut möglich war, daß Acheron noch lebte, und ich nach wie vor auf Rache sann, war es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn ich mitspielte.
Analogy rutschte nervös herum. »Im Fall Crometty ermittelt selbstverständlich die Mordkommission. Inoffiziell können wir also nicht sehr viel unternehmen, aber SpecOps hält sich auf seine
Unabhängigkeit
seit jeher einiges zugute. Wenn wir im Laufe anderweitiger Ermittlungen rein zufällig auf Beweise stoßen würden, hätte niemand etwas dagegen. Sie verstehen?«
»Durchaus. Haben Sie eine Ahnung, wer Crometty umgebracht haben könnte?«
»Jemand bot ihm etwas zum Kauf an. Ein rares Dickens-Manuskript. Er wollte es sich ansehen und … tja, er war nicht bewaffnet, wissen Sie.«
»Nur wenige Swindoner LitAgs können überhaupt mit der Waffe umgehen«, setzte Bowden hinzu, »und die meisten wollen es auch gar nicht lernen. Literarische Ermittlungsarbeit und Schußwaffen passen einfach nicht zusammen. Wie heißt es doch? Die Feder ist mächtiger als das Schwert.«
»Nichts gegen schöne Worte«, entgegnete ich kühl; allmählich machte es mir Spaß, die mysteriöse SO-5-Agentin zu spielen, »aber eine Neun-Millimeter ist im Zweifelsfall effektiver.«
Sie starrten mich eine Weile schweigend an. Dann zog Victor ein Foto aus einem gelbbraunen Umschlag und legte es vor mir auf den Tisch. »Was halten Sie davon? Das wurde gestern aufgenommen.«
Ich betrachtete das Foto. Ich kannte das Gesicht nur zu gut. »Jack Schitt.«
»Und was wissen Sie über ihn?«
»Nicht viel. Er ist der Leiter von Goliaths Internem Sicherheitsdienst. Er wollte wissen, was Hades mit dem
Chuzzlewit
-
Manuskript vorhatte.«
»Ich verrate Ihnen ein Geheimnis. Sie haben recht, Schitt arbeitet für Goliath, aber
nicht
für die Interne Sicherheit.«
»Sondern?«
»Für die Abteilung Spezialwaffen. Acht Milliarden Jahresetat, und alles läuft über ihn.«
»Acht Milliarden?«
»Plus Kleingeld. Angeblich wurde bei der Entwicklung des Plasmagewehrs selbst
dieses
Budget noch überschritten. Er ist intelligent, ehrgeizig und wenig flexibel. Er ist seit vierzehn Tagen hier. Und er wäre nicht in Swindon, wenn es hier nicht etwas gäbe, das für Goliath von besonderem Interesse ist; wir glauben, daß Crometty sich das Originalmanuskript von
Chuzzlewit
ansehen wollte, und wenn das stimmt …«
»… ist Schitt nur hier, weil ich hier bin«, beendete ich den Satz. »Er fand es merkwürdig, daß ich mich um einen Posten bei SO-27 beworben hatte, und das ausgerechnet in Swindon – ich bitte um Entschuldigung.«
»Schon gut«, meinte Analogy. »Aber daß Schitt sich hier herumtreibt, sagt mir, daß Hades noch am Leben ist – oder doch wenigstens, daß Goliath das
glaubt
.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Beängstigend, nicht wahr?«
Analogy und Cable sahen sich an. Sie hatten alles Nötige gesagt: daß ich hier willkommen sei, daß sie Crometty rächen wollten und Jack Schitt nicht riechen konnten. Sie wünschten mir einen angenehmen Abend, zogen Hut und Mantel an und waren im Nu verschwunden.
Die Jazznummer war zu Ende. Auch ich klatschte Beifall, während Holroyd sich wacklig erhob, dem Publikum zuwinkte und von der Bühne ging. Nachdem die Musik verstummt war, leerte sich die Bar rapide, und ich blieb mehr oder weniger allein zurück. Ich blickte nach rechts, wo zwei Miltons einander schöne Augen machten, und dann zum Tresen, wo sich ein paar Vertreter im Anzug auf Spesenrechnung vollaufen ließen. Ich ging zum Klavier
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