Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
Jahrhunderts spezialisiert. Er wird Sie einarbeiten. Das da drüben ist Ihr Schreibtisch.«
Er starrte einen Moment lang auf den leergeräumten Tisch. Man hatte für mich keineswegs eine neue Stelle geschaffen. Vor kurzem war einer von ihnen gestorben, und ich trat seine Nachfolge an. Ich saß auf dem Stuhl eines Toten, am Schreibtisch eines Toten. Der Beamte am Nebentisch sah mich neugierig an.
»Das ist Fisher. Er ist unser Fachmann für Urheberrecht und zeitgenössische Literatur.«
Fisher war ein stämmiger Bursche mit leichtem Silberblick; er war anscheinend genauso breit wie lang. Er blickte zu mir hoch und grinste: Zwischen seinen Zähnen hing noch etwas Schnittlauch vom Frühstück.
Victor ging weiter zum nächsten Tisch.
»Um die Prosa des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts kümmert sich Helmut Beicht, eine freundliche Leihgabe unserer Kollegen vom Kontinent. Er sollte uns helfen, eine miserable Goethe-
Übersetzung wieder auszubügeln, und kam dabei einer Neonazi-Verschwörung auf die Schliche, die Friedrich Nietzsche zum faschistischen Heiligen aufbauen wollte.«
Herr Beicht war um die fünfzig und beäugte mich mißtrauisch. Er trug zwar einen Anzug, hatte wegen der Hitze jedoch die Krawatte ausgezogen.
»SO-5, hä?« sagte Herr Beicht, als handele es sich dabei um eine Geschlechtskrankheit.
»Nein, SO-27, genau wie Sie«, verbesserte ich ihn. »Acht Jahre unter Boswell in der Londoner Zentrale.«
Beicht griff zu einem scheinbar alten, in Schweinsleder gebundenen Buch und reichte es mir. »Was halten Sie davon?«
Ich wog den staubigen Band in der Hand und betrachtete den Rücken.
»Die Eitelkeit der menschlichen Wünsche«,
las ich. »Verfaßt von Samuel Johnson und erschienen im Jahre 1749, das erste Werk, das er unter eigenem Namen veröffentlicht hat.« Ich schlug das Buch auf und blätterte in den vergilbten Seiten. »Erstausgabe. Es wäre äußerst wertvoll, wenn …«
»Wenn …?« wiederholte Beicht.
Ich schnupperte am Papier, fuhr mit dem Zeigefinger die Schnittkante entlang und prüfte den Geschmack. Ich betastete den Rücken, klopfte auf den Deckel und ließ den schweren Band schließlich mit einem dumpfen Schlag auf den Schreibtisch fallen.
»… wenn es denn echt wäre.«
»Ich bin beeindruckt, Miss Next«, gestand Beicht. »Wir müssen uns bei Gelegenheit mal über Johnson unterhalten.«
»Das war nicht halb so schwierig, wie es aussah«, gestand ich. »In London haben wir zwei Paletten voller Johnson-Fälschungen wie dieser, mit einem Straßenverkaufswert von über dreihunderttausend Pfund.«
»London auch?« rief Beicht erstaunt. »Wir sind seit einem halben Jahr hinter dieser Bande her; wir dachten, ihre Aktivitäten beschränken sich auf diese Gegend.«
»Sprechen Sie mit Boswell in der Londoner Zentrale; er kann Ihnen bestimmt weiterhelfen. Bestellen Sie ihm einfach einen schönen Gruß von mir.«
Herr Beicht griff zum Telefonhörer und bat die Telefonistin um die entsprechende Nummer. Victor winkte mich zu einer der vielen Mattglastüren, die vom Hauptbüro in Nebenräume führten. Er öffnete sie einen Spalt, und ich erblickte zwei Beamte in Hemdsärmeln, die einen Mann in Strumpfhosen vernahmen, der ein besticktes Wams und eine Halskrause trug.
»Malin und Sole sind ausschließlich für Shakespeare zuständig.« Er machte die Tür wieder zu. »Sie befassen sich mit Fälschungen, illegalem Handel und extrem freien Bühneninszenierungen. Der Schauspieler dort drinnen heißt Graham Huxtable. Er hat eine strafbare Einpersonenfassung von
Was ihr wollt
zur Aufführung gebracht. Ein hartnäckiger Kunde. Er muß wie immer ein Bußgeld bezahlen und bekommt eine Verwarnung. Sein Malvolio ist
unsäglich
.«
Er öffnete die Tür zu einem anderen Büro. Eineiige Zwillinge saßen an einer riesigen Rechenmaschine. Dank der vielen tausend Röhren war es in dem kleinen Zimmer höllisch heiß, und das Klicken der Relais war ohrenbetäubend. Die Maschine war das einzige Hi-Tech-Gerät, das ich hier bislang zu Gesicht bekommen hatte.
»Das sind die Brüder Forty, Jeff und Geoff. Die Fortys bedienen den Versmaßanalysator. Er zerlegt jedes Gedicht oder Prosastück in seine Komponenten – Wortwahl, Interpunktion, Grammatik und so weiter – und vergleicht den Stil dann mit einem Muster des Zielautors, das er in seiner Datenbank gespeichert hat. Achtundneunzig Prozent Trefferquote. Sehr nützlich, um Fälschungen auf die Schliche zu kommen. Neulich hatten wir hier eine Seite,
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