Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
Seelenstärke rechnen, wenn es soweit ist?«
Es blieb keine Zeit für eine Antwort oder weitere Fragen. Der bestellte Weckruf riß mich aus dem Schlaf. Ich war angezogen, das Licht brannte, und der Fernseher lief.
19. Irrwürden Joffy Next
Liebste Mum,
hier im Lager ZENSIERT haben wir viel Spaß. Das Wetter ist gut, das Essen durchschnittlich, die Kameradschaft 1A. Colonel ZENSIERT ist unser Kommandeur; er ist ein prima Kerl. Ich sehe Thurs relativ oft, & obwohl Du mich gebeten hast, auf sie aufzupassen, kann sie das, glaube ich, ganz gut allein.
Sie hat das Damenboxtumier des Bataillons gewonnen.
Nächste Woche ziehen wir weiter nach ZENSIERT , ich schreibe Dir, wenn es was Neues gibt.
Dein Sohn Anton
Brief von Anton Next, geschrieben zwei Wochen vor seinem Tod
Abgesehen von einem anderen Gast hatte ich den Frühstücksraum für mich allein. Wie das Schicksal es wollte, handelte es sich bei diesem anderen Gast um Colonel Phelps.
»Guten Morgen, Corporal!« sagte er fröhlich, als er mich bei dem Versuch erwischte, mich hinter meiner
Owl
zu verstecken.
»Colonel.«
Er setzte sich ohne zu fragen an meinen Tisch. »Bis jetzt ist mein Auftritt hier, glaube ich, auf positive Resonanz gestoßen«, sagte er leutselig, nahm sich eine Scheibe Toast und winkte dem Kellner mit dem Löffel. »Hallo, Chef, mehr Kaffee. Die Diskussionsrunde findet am Sonntag statt; Sie kommen doch?«
»Durchaus möglich«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
»Ausgezeichnet!« rief er begeistert. »Ich muß gestehen, daß ich dachte, Sie seien vom rechten Wege abgekommen, als wir uns im Zeppelin begegnet sind.«
»Wo findet die Diskussion denn statt?«
»Nicht so laut, altes Mädchen. Die Wände haben Ohren. Feind hört mit etc. pp. Ich lasse Ihnen einen Wagen schicken. Schon gesehen?«
Er zeigte mir die Titelseite des
Mole
. Der widmete sich, wie alle Zeitungen, fast ausschließlich der bevorstehenden Offensive, die alle Welt offenbar für so unausweichlich hielt, daß keine Hoffnung mehr für einen Verhandlungsfrieden bestand. Die letzte größere Schlacht hatte ’75 stattgefunden, und die bitteren Erinnerungen daran reichten anscheinend nicht tief genug.
»Ich sagte: Mehr
Kaffee!
« donnerte Phelps. Der Kellner hatte ihm versehentlich Tee eingeschenkt. »Dieses neue Plasmagewehr wird der leidigen Sache ein Ende machen. Ich habe sogar daran gedacht, meine Rede umzuschreiben und all jene, die ein neues Leben anfangen wollen, dazu aufzurufen, sich schon jetzt ein Stück Land auf der Halbinsel zu kaufen. Die Regierung will, wenn die Russen erst vertrieben sind, so bald wie möglich Menschen dort ansiedeln.«
»Aber begreifen Sie denn nicht?« fragte ich wütend. »Es wird kein Ende geben. Nicht solange wir noch Truppen auf russischem Boden haben.«
»Wie war das?« murmelte Phelps. »Hmm? Hä?«
Er machte sich an seinem Hörgerät zu schaffen und legte den Kopf schief wie ein Papagei. Ich machte ein unverbindliches Geräusch, stand auf und ging.
Es war noch früh; die Sonne stand am Himmel, aber es war noch kalt.
Nachts hatte es geregnet, und die Luft war feucht. Ich klappte das Verdeck herunter, in der Hoffnung, daß der Fahrtwind die Erinnerung an gestern abend und meine Wut darüber, daß ich Landen nicht vergeben konnte, wegwehen würde. Ich war sechsunddreißig, und abgesehen von den Monaten mit Filbert, plusminus dem einen oder anderen One-night-stand, war ich seit zehn Jahren allein. Noch einmal fünf Jahre, und ich konnte die Hoffnung begraben, mein Leben mit jemand zu teilen.
Ich raste um die Kurven, und der Wind zerrte an meinen Haaren. Es war so gut wie kein Verkehr, der Wagen lief wie eine Eins. Bei Sonnenaufgang hatten sich hier und da kleinere Nebelbänke gebildet, und ich glitt durch sie hindurch wie ein Luftschiff. Wenn ich in eines dieser Dunstfelder hineinfuhr, ging ich vom Gas und trat das Pedal erst wieder durch, wenn ich in die helle Morgensonne hinausschoß.
Wanborough, ein kleines Dorf, lag gut zehn Autominuten vom Hotel Finis entfernt. Ich parkte vor dem GSG-Tempel – einer ehemaligen Kirche der Church of England – und stellte den Motor ab. Die ländliche Stille war eine Wohltat, nur in der Ferne tuckerten ein paar Traktoren. Ich öffnete das Tor und betrat den schmucken kleinen Friedhof. Ich war seit meinem Umzug nach London nicht mehr an Antons Gedenkstein gewesen, wußte aber, daß ihn das nicht gestört hätte. Vieles von dem, was wir am anderen gemocht hatten, war unausgesprochen geblieben. Was
Weitere Kostenlose Bücher