Thursday Next 02 - In einem anderen Buch
erfahren. Nicht der kleinste Überrest des Dramas hat überlebt.
MILLION DE FLOSS Cardenio. Wie gewonnen, so zerronnen
Eine Viertelstunde später kamen wir an der Zufahrtsstraße des neuen Krocket-Stadions vorbei, das immerhin dreißigtausend Zuschauer fasste.
»Wie viel von Shakespeares Originalhandschrift gibt es heute eigentlich noch auf der Welt?« fragte ich Bowden.
»Fünf Unterschriften, drei Seiten mit Korrekturen zu
Sir Thomas More
und das 1962 entdeckte Fragment des
King Lear«,
sagte er.
»Kein Wunder, dass sämtliche literarischen Betrüger den
Cardenio
zu fälschen versuchen.«
Bowden parkte in einer Straße mit leicht erhöht gebauten Reihenhäusern, schloss den Wagen ab und wir klingelten an der Tür von Nummer 216. Einen Augenblick später öffnete uns eine Frau von ungefähr sechzig. Sie kam offenbar frisch vom Friseur und trug ein Kleid, das wahrscheinlich ihr bestes, sonst aber nicht sonderlich attraktiv war.
»Mrs Hathaway 34 ?«
»Ja?«
Wir hielten unsere Polizeimarken hoch. »Cable und Next, LitAg Swindon. Sie haben heute bei uns angerufen?«
Mrs Hathaway 34 strahlte und führte uns begeistert ins Haus. An jeder verfügbaren Wandfläche hing ein Bild Shakespeares, ein Theaterplakat, ein Kupferstich oder eine Gedenktafel. Unsere Gastgeberin war offensichtlich ein ernst zu nehmender Fan. Nicht unbedingt rasend, aber doch kurz davor.
»Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?« fragte sie.
»Nein danke, Ma'am. Sie hatten gesagt, Sie hätten eine Kopie des
Cardenio
in Ihrem Besitz?«
»Ja, natürlich!« rief sie begeistert und fügte dann zwinkernd hinzu: »Das war bestimmt eine Überraschung für Sie, dass Willis verlorenes Stück plötzlich aufgetaucht ist, nicht wahr?«
Ich hielt es für besser, ihr nicht zu sagen, dass beinahe jede Woche Fälschungen der verlorenen Shakespeare-Stücke auftauchten. »All unsere Tage sind überraschend, Mrs Hathaway 34 .«
»Nennen Sie mich ruhig Anne 34 !« sagte sie, klappte ihren Sekretär auf, nahm ein in rosa Seidenpapier gewickeltes Buch aus der Schublade und legte es andächtig vor uns auf den Tisch.
»Ich hab es letzte Woche auf einem Flohmarkt erworben«, vertraute sie uns mit gedämpfter Stimme an. »Ich glaube, der Besitzer wusste gar nicht, was er da in seinem Kofferraum hatte. Der Rest waren ungelesene Romane von Daphne Farquitt und alte Hefte von
Toasten für Könner.«
Sie beugte sich vor und kicherte: »Für 'n Appel und Ei hab ich es gekauft, wissen Sie?«
Dann fuhr sie mit normaler Stimme fort: »Ich glaube, das ist der bedeutsamste Fund seit der Entdeckung des
King Lear-
Fragments.« Sie presste eine Hand auf den Busen und starrte verzückt auf den Abguss der Shakespeare-Büste auf ihrem Kaminsims. »Das Lear-Fragment war natürlich von Willis eigener Hand, aber es umfasst nur zwei Zeilen Dialog zwischen Cordelia und Lear. Trotzdem erzielte es 1,8 Millionen bei der letzten Auktion! Stellen Sie sich mal vor, was ein
Cardenio
wert ist!«
»Ein echter
Cardenio
wäre von unschätzbarem Wert, Ma'am«, sagte Bowden höflich, wobei er den Akzent auf das Wort »echt« legte.
Ich hatte unterdessen ein bisschen gelesen und schlug das Buch jetzt wieder zu. »Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, Mrs Hathaway 34 -«
»Anne. Nennen Sie mich Anne.«
»Anne. Es tut mir leid, Sie darauf hinweisen zu müssen, dass es sich um eine Fälschung handelt.«
Mrs Hathaway 34 ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Sind Sie sicher, meine Liebe? Sie haben nicht sehr viel gelesen.«
»Ich fürchte schon. Rhythmus, Reim und Grammatik haben nicht viel mit den bekannten Werken Shakespeares zu tun.«
»Willi war immer sehr anpassungsfähig, Miss Next. Ich glaube nicht, dass ein paar kleine Abweichungen von der Norm sehr relevant sind!«
»Sie missverstehen mich«, sagte ich so taktvoll wie möglich. »Es ist nicht einmal eine besonders gute Fälschung.«
»Nun ja!« sagte Anne indigniert. »So eine Beglaubigung ist bekanntlich nicht einfach. Wie es scheint, muss ich noch ein Zweitgutachten einholen.«
»Das können Sie natürlich gern tun, Ma'am«, sagte ich langsam, »aber jeder Fachmann wird Ihnen bestätigen, dass es sich um kein Originalmanuskript handeln kann. Dabei geht es nicht nur um Text. Wissen Sie, Shakespeare hat nie mit Kugelschreiber auf liniertem Papier geschrieben, und selbst wenn er das getan hätte, wäre es höchst unwahrscheinlich, dass er Cardenio bei der Verfolgung Luscindas in einen Range Rover gesetzt
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