Thursday Next 03 - Im Brunnen der Manuskripte
entscheidenden Funkspruch absetzen. So war es immer gewesen. Wir waren von der Hitze und der Angst des Gefechts zusammengeschweißt worden. Aber in diesem Augenblick, als wir uns im Schutz der Bäume in unseren Spähpanzer duckten und dem leisen Brummen des Motors lauschten, wussten wir davon noch nichts. Unsere einzige Sorge war, dass wir wegen des über uns kreisenden Flugzeugs nicht zur angegebenen Zeit bei unserem Beobachtungsposten eintreffen würden.
»Was macht er?« flüsterte Landen und hob die Hand an die Augen, um sich vor der Sonne zu schützen.
»Sieht wie eine Yak-12 aus«, sagte der junge Soldat. Jetzt hatte er noch acht Wörter und fünfzig Sekunden.
Bisher hatte ich genau wie die anderen zum Himmel gestarrt, aber als ich jetzt wieder nach vorn schaute, sah ich zu meiner Überraschung einen Russen, der etwa hundert Meter vor mir über den Weg sprang und in einem Graben Deckung suchte.
»Russki!« keuchte ich voller Entsetzen. »Zwölf Uhr, hundert Meter!«
Ich griff nach oben, um die Luke zu schließen, aber Landen hielt mein Handgelenk fest.
»Noch nicht«, sagte er. »Legen Sie den Gang ein.«
Ich tat wie befohlen, während der Soldat und Landen sich umsahen.
»Was sehen Sie?« zischte Landen.
»Fünf oder sechs«, flüsterte der Soldat. »Kommen direkt auf uns zu.«
»Hier auch«, murmelte Landen. »Fahren Sie, Corporal!«
Ich gab Gas und ließ die Kupplung kommen, der Motor heulte auf, und der Dingo schoss aus der Deckung. Sofort begannen die automatischen Waffen der Russen zu feuern. Für sie waren wir Störenfriede, die einen schönen Überraschungsangriff kaputtgemacht hatten. Bald hörte ich auch das Rattern aus der MP des uns begleitenden Soldaten und das abgehackte Einzelfeuer aus der Pistole von Landen.
Der kleine Panzerwagen schleuderte zurück auf den Feldweg und preschte im Kugelhagel davon. Während wir Fahrt aufnahmen, hörte ich überall das helle
Ping
der Geschosse aus Handfeuerwaffen, die auf die Panzerung schlugen. Plötzlich fiel mir ein schweres Gewicht auf den Rücken, und ein blutiger Arm baumelte vor meiner Sichtluke.
»Weiterfahren!« schrie der Soldat. »Und auf keinen Fall anhalten, bis ich es sage!« Zur Bekräftigung gab er einen weiteren Feuerstoß ab, zog das leere Magazin ab, schlug das neue an seinen Helm, lud nach und begann wieder zu feuern.
»Das kann doch nicht sein«, murmelte ich. »So ist es doch nicht gewesen.« Der Soldat hatte seine Lebens- und Redezeit weit überschritten. Ich musterte die Hand, die vor mir herumbaumelte, und ein schreckliches Angstgefühl überfiel mich. Die Tankanzeige war unbeschädigt. Hätte sie nicht kaputtgehen müssen, als der junge Soldat starb? Dann wusste ich plötzlich, was los war: Der Soldat hatte überlebt, und der Offizier war gestorben.
Ich saß plötzlich senkrecht im Bett, keuchend und schweißbedeckt. Die Intensität meiner Erinnerungen an diesen Tag hatte sich im Lauf der Jahre verringert, aber was hier geschehen war, stimmte irgendwie nicht. Ich versuchte mich an die Einzelheiten des Traums zu erinnern. Immer und immer wieder ließ ich die blutige Hand vor meinem inneren Auge herabfallen. Es war alles so schrecklich real.
Aber es gab da noch etwas. Einen Verlust, den ich mir nicht erklären konnte - es fehlte mir etwas, und ich wusste nicht, was
»Landen«, sagte eine leise Stimme in der Dunkelheit. »Sein Name war
Landen
\2«
»Ja!« schrie ich. »Landen! Sein Name war Landen.«
»Und er ist nicht auf der Krim gestorben, das war jemand anderes. Das war der junge Soldat.«
»Aber ich hab' ihn doch gerade sterben sehen!«
»Nein, das war falsch. Dein Gedächtnis hat sich geirrt.«
Neben mir auf dem Bett saß meine Großmutter in ihrem karierten Nachthemd. Sie hielt ganz fest meine Hand und schaute mir über die Brille hinweg in die Augen. Ihr graues Haar hing ihr wirr um den Kopf. Ihre Worte halfen mir, mich zu erinnern. Landen hatte tatsächlich überlebt. Das bewies schon der Luftschlag, den er angefordert hatte. Trotzdem konnte ich mich auch jetzt, im Wachzustand, noch daran erinnern, seine Leiche gesehen zu haben. Es machte einfach keinen Sinn.
»Er ist nicht gestorben?«
»Nein.«
Ich nahm das Bild vom Nachttisch, das ich von ihm gezeichnet hatte.
»Hab' ich ihn noch mal gesehen?« fragte ich, als ich das völlig unbekannte Gesicht sah.
»Oh, ja«, sagte Granny. »Sehr oft. Du hast ihn sogar geheiratet.«
»Ja, genau, wir haben geheiratet, nicht wahr?« Ich weinte vor
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