Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
Menschen erschaffene Krankheit, eine biochemische Reaktion, die so kompliziert ist, daß wir noch kaum imstande sind, auch nur zu erahnen, wie sie funktioniert. Sie erschafft – oder besser: implantiert – gewisse Restrukturierungen im Hirngewebe, welche dieses für ein Kommunikationsmedium empfänglich machen, das schneller als das Licht ist. Man wird zum Sender und zum Empfänger. Man kommuniziert direkt mit der Datenquelle. Das geschieht, wenn du im Nichts versinkst: du befindest dich im Computer, nicht irgendwo im All, oder gar bei anderen Sibyllen, die auf anderen Welten leben, und die Antworten auf Fragen haben, von denen nicht einmal das Alte Imperium etwas gewußt haben kann.« Er hob das Glas mit einem ermutigenden Lächeln. »Lange Erklärungen machen die Kehle trocken.«
Mond betrachtete das Kleeblatt vor dem Stoff seiner goldbraunen Robe, dann sah sie ihr eigenes, das einsam und verlassen weit über ihr auf einem Regal lag. »Werden die Leute dann wegen dieser Krankheit verrückt? Man sagt, es bedeutet Tod, eine Sibylle zu töten ... Tod, eine Sibylle zu lieben ... « Sie verstummte und betastete den kühlen Stein des Tischrandes.
Er zog die Brauen in die Höhe. »Sagt man das auf Tiamat? Wir haben auch ein Sprichwort, aber wir nehmen es nicht mehr ganz so wörtlich. Ja, für manche Leute kann die Infektion mit der ›Krankheit‹ Wahnsinn zur Folge haben. Sibyllen werden aufgrund gewisser persönlicher Eigenschaften erwählt, eine davon ist emotionale Stabilität ... und selbstverständlich kann das Blut einer Sibylle die Krankheit übertragen. Speichel ebenfalls – aber normalerweise muß eine Person eine offene Wunde haben, um sich anzustecken. Und ganz offensichtlich kann es nicht zwangsläufig Tod bedeuten. ›eine Sibylle zu lieben‹, wenn man vorsichtig genug ist, denn sonst hättet Ihr meine Tochter heute nicht begrüßen können. Ich glaube, dieser Aberglaube wurde in die Welt gesetzt, um Sibyllen in weniger zivilisierten Gesellschaftsordnungen zu beschützen. Das Symbol, das wir tragen, das Kleeblatt, ist das Symbol biologischer Kontamination. Es ist eines der ältesten Symbole, das die Menschheit kennt.«
Aber bereits nach »... nicht zwangsläufig Tod bedeuten, ›eine Sibylle zu lieben‹ ... «, hörte sie nichts mehr. »Nicht? Aber dann ... Funke! Wir müssen nicht aufeinander verzichten. Wir können zusammen leben! Elsevier!« Mond umarmte die alte Frau, bis sie keuchte. »Danke! Danke, daß du mich hierher gebracht hast. Du hast mir das Leben gerettet. Es gibt nichts zwischen Meer und Himmel, das ich nicht für dich tun würde!«
»Was bedeutet das?« fragte Aspundh, der sich amüsiert auf die Fäuste stützte. »Wer ist Funke? Eine Romanze?«
Elsevier schob Mond auf Armeslänge von sich, wo sie sie sanft festhielt. »Oh, Mond, mein Liebes«, sagte sie mit unendlicher Trauer in der Stimme, »ich wünschte, du würdest dich nicht so sehr daran klammern.«
Mond drehte verständnislos den Kopf. »Wir waren verbunden, aber als ich eine Sibylle geworden war, ging er weg. Aber nun kann ich zurückkehren und ihm sagen . ..«
»Zurück? Nach Tiamat?« Aspundh richtete sich auf. »Mond«, flüsterte Elsevier, »wir können dich nicht zurückbringen.« Die Worte verhallten wie sich entfernende Zugvögel. »Ich weiß, ich weiß, ich muß warten bis ... « Sie fegte die Worte beiseite.
»Mond, hör ihr doch zu!« Der Schock angesichts des Ausbruches von Cress, brachte sie zum Verstummen.
»Was?« Sie erschlaffte in Elseviers Griff. »Aber du sagtest doch...«
»Wir werden nie mehr nach Tiamat zurückkehren, Mond. Das hatten wir nie vor, es geht nicht. Und du kannst auch nicht " zurück.« Elseviers Lippen zitterten. »Ich habe dich belogen.« Sie blickte weg, um nach einem einfacheren Weg zu suchen, fand aber keinen. »Es war alles eine monströse Lüge. Tut ... tut mir leid.« Sie ließ Monds Arme los.
»Aber warum?« Mond strich sich verzweifelt übers Haar, Spinnweben fielen ihr ins Gesicht. »Warum?«
»Weil es zu spät ist. Tiamats Pforte schließt sich, sie wird zu instabil für ein kleines Schiff wie das unsere. Es ... es sind nicht Monate verstrichen, seit wir Tiamat verließen, Mond. Es sind mehr als zwei Jahre. Und ebenso lange wird die Rückreise dauern.«
»Das ist eine Lüge! Wir waren nicht jahrelang auf dem Schiff!« Als ihr langsam das Verständnis dämmerte, sprang Mond auf die Beine und sah sich wild um. »Warum tust du mir das an?«
»Weil ich es schon von Anfang
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