Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
alltägliches, pragmatisches Gesicht wurde unter dem abblätternden Make-up sichtbar, ihr stumpfes, mausgraues Haar war unbeholfen auf Ohrlänge zurechtgestutzt.
Ihr Götter, darunter kommt tatsächlich ein menschliches Wesen zum Vorschein.
Dann erinnerte sie sich plötzlich daran, daß einer der Männer, die sie gerade hatte abführen lassen, in dieses menschliche Wesen verliebt zu sein schien.
Verdammt, warum kann Recht nie Recht und Unrecht nie Unrecht sein? Warum kann es nicht einmal einfach Schwarz und Weiß sein? Ich habe das Grau satt!
Doch als die Frau vor ihr stand, schüttelte sie solche Gedanken ab. »Wie geht es Ihnen?«
Tor zuckte die Achseln, verlor einen Streifen Stoff und befestigte ihn wieder auf ihrer Schulter. »Schätze ganz gut. Ich meine, wenn man die Umstände bedenkt ... « Sie blickte zur Tür des Zellenkomplexes.
»Gut genug für eine aufgezeichnete Zeugenaussage?«
»Klar.« Tor seufzte. »Ich schätze, ich muß nicht vor Gericht erscheinen, oder?« Sie stemmte die Hände gegen die Hüften.
Das Verfahren würde auf einem anderen Planeten eröffnet werden. Jerusha lächelte, sie verstand die Ironie. »Schätzen Sie sich glücklich. Dr. C'sunh hat eine ganze Menge Freunde, aber die sind augenblicklich alle dort drinnen.« Sie deutete zur Decke. Tor verzog das Gesicht. »Aber wenn wir Tiamat verlassen haben, werden Sie sicher sein. Ihre Aussage wird durchaus die gewünschte Wirkung haben, solange sie ordentlich aufgezeichnet ist, und darum werde ich mich schon kümmern, das dürfen Sie mir glauben. Ich hoffe nur, daß es genügen wird, auch noch die Quelle zu belasten. Wenn die ...« Sie verstummte, als ein neuerliches Knäuel Fremde in das Büro gestürmt kam. Nein, keine Fremden. Sie stand auf, jeder im Raum folgte ihrem Blick.
»Was, zum ...«
»Arienrhod?«
»Mond!« hörte sie sich selbst sagen, Tor wiederholte es, ohne Zeit zum Wundern zu haben. Sie sah zwei kräftige Sommer hinter ihr, die Gundhalinus Körper trugen. »Scheiße ...«
Mond zögerte, als Jerusha hinter ihrem Schreibtisch hervorkam, doch dann blieb sie trotzig stehen, während ein paar Polizisten sie umringten.
»Wer ist das?«
»Gundhalinu!«
»Ich dachte, der wäre ...«
»Ist er tot?« Jerusha packte Mond an der Schulter, sie hatte jegliche Perspektive verloren.
»Nein!« Jerusha sah die Wut im Gesicht des Mädchens, als sie es herumdrehte, daher ließ sie überrascht los. »Er ist nicht tot. Aber er ist krank, er braucht einen Arzt.« Mond griff mit der Hand nach ihm, konnte ihn aber nicht ganz berühren.
»Vor zwei Tagen hat dir das noch nicht viel ausgemacht, oder?« Jerusha sah an ihr vorbei und betrachtete Gundhalinus herunterhängenden Kopf und die geschlossenen Augen, sein hageres, schwitzendes Gesicht. Sie bedeutete zwei ihrer Männer, ihn den Sommern wegzunehmen. »Bringt ihn rasch in die Krankenstation. Aber vorsichtig, verdammt! Er ist mir teurer als Diamanten.«
Sie trugen ihn behutsam weg. Die beiden Sommer nickten Mond fast demütig zu und verschwanden wieder nach draußen. Mond versuchte nicht, ihnen oder Gundhalinu zu folgen, sie sah ihnen lediglich nach. Sie hatte irgendwo her einen langen, goldenen Umhang beschafft, und obwohl ihr Haar ungeordnet herabhing, war die Ähnlichkeit mit Arienrhod frappierend.
»Und du bist unter Arrest, falls du das vergessen haben solltest. «
Mein Gott, das ist zuviel für einen einzigen Tag.
Sie hob die Hand, um einen anderen Offizier herzuwinken.
Mond verzog das Gesicht. »Ich habe Sie nicht vergessen, Kommandant. BZ ... Inspektor Gundhalinu ... ich entkam. Er fand mich wieder. Er wollte mich gerade herbringen, als er zusammenbrach.« Sie sagte es, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Klar, sicher!« Jerusha löste die Handschellen von ihrem Gürtel und sagte sehr leise: »Das ist das schönste Märchen, das ich je gehört habe, aber um Gundhalinus willen will ich es glauben.« Sie sah die Kehle des Mädchens und erinnerte sich plötzlich wieder daran, daß sie eine Sibylle war. Sie verhakte die Handschellen zerknirscht wieder an ihrem Gürtel. »Ich glaube, das wird nicht nötig sein, Sibylle. Aber du bist doch gewiß nicht hergekommen, um mir das zu erzählen. Aber warum, zum Teufel, dann?«
Mond lächelte kurz und ironisch, der Ausdruck schien fremd auf ihrem Gesicht. Sie hörte auf zu lächeln. »Ich bin gekommen, weil die Königin eine Seuche in der Stadt verbreiten lassen will, die alle Sommer töten soll, und ich weiß auch, wer das bewerkstelligen
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