Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
vergiftet, nicht wahr?«
Jerusha öffnete den Mund. »Das war die Quelle?«
»Für die Königin.« Mond nickte.
»Götter ... oh, Götter, das würde ich gerne aufzeichnen!«
Damit ich es jeden Abend hören und mich in den Schlaf wiegen kann.
»Reicht das, um die Anklagen gegen uns fallen zu lassen?«
Jerusha konzentrierte sich wieder auf Mond, sah Entschlossenheit in ihrem Blick – und erkannte plötzlich, daß das Mädchen blind bis an diese Stelle geführt worden war, daß sie immer noch für ihr und ihres Freundes Leben kämpfte.
Du hast die Regeln der Zivilisation gut gelernt, Mädchen.
Widerwille stieg in ihr auf, doch sie drängte ihn zurück. Sie betrachtete wieder die Tätowierung.
Hölle, Tod und Teufel, wie lange will ich eigentlich noch ihr Gesicht hassen, obwohl es keinen Beweis dafür gibt, daß sie es verdient hat, damit geboren zu werden?
»Werden Sie ihn herholen und mich gehen lassen?« Mond erhob sich, da sie ihre Zustimmung erwartete.
»Das wird nicht einfach sein.«
Mond setzte sich mit angespanntem Körper wieder hin. »Warum nicht?«
»Ich habe überall verbreiten lassen, daß Funke Starbuck ist, als ich davon erfuhr. Die Sommer werden bereits erfahren haben, wer er ist.«
Und ich wäre eine Heuchlerin, wenn ich nicht zugeben würde, daß ich es so gewollt habe.
»Sie werden nicht mehr zulassen, daß er den Palast verläßt.«
»Aber dort sollte er doch in Sicherheit sein! Nur aus diesem Grund habe ich ihn dort zurückgelassen!« Mond schrie ihren Verrat hinaus, Gesichter starrten sie an. Ihre Augen glänzten, plötzlich glichen sie leeren Fenstern. Jerusha wich aus Angst vor Kontamination vor ihr zurück. »Nein! Nein!« Mond ballte die Hände zu Fäusten. »Sie können ihn nicht benützen und ihn dann sterben lassen! Ich habe alles für ihn getan. Deshalb bin ich hergekommen. Nicht wegen Ihnen, nicht wegen der Veränderung ... die Veränderung ist mir egal, wenn er dabei sterben muß.« Das hatte den Klang einer Drohung. »Funke wird morgen nicht sterben . ..
»Aber jemand muß sterben«, sagte Jerusha unbehaglich und unsicher, bemüht, sie wieder in die reale Welt zurückzuholen. »Ich weiß, er ist dein Geliebter, Sibylle, aber die Veränderung ist größer als eine Person sich das wünscht. Das Ritual der Veränderung ist heilig, wenn die Meeresmutter ihr Opfer nicht bekommt, dann wird die zuschauende Menge die Hölle entfesseln. Starbuck muß sterben.«
»Starbuck muß sterben.« Mond wiederholte es, während sie langsam aufstand. »Ich weiß. Es muß sein.« Sie hob die Hand zum Kopf, ihr Gesicht war schmerzverzerrt, als würde sie gegen eine seltsame Macht ankämpfen. »Aber Funke muß nicht sterben, Kommandant!« Sie wandte sich wieder um, ihr Gesicht war immer noch verzerrt. »Wollen Sie mir helfen, den Ersten Sekretär Sirus zu finden? Er versprach mir ...« – plötzlich lächelte sie sardonisch –, »daß er alles in seiner Macht Stehende tun würde, um seinem Sohn zu helfen. Und das wird er auch.«
»Ich kann mit ihm Kontakt aufnehmen.« Jerusha nickte. »Aber zuerst möchte ich den Grund erfahren.«
»Zuerst muß ich noch jemanden besuchen.« Monds Entschlossenheit wich. »Dann werde ich es Ihnen sagen, und Sie können es ihm sagen. Persiponë, wo ist Herne augenblicklich?«
Tor zog die Brauen in die Höhe. »Ich nehme an, drüben, im Kasino ... Bei allen Göttern«, verwundert. »Ich glaube,
ich
verstehe endlich auch etwas von der Unterhaltung.« Sie lächelte Jerusha verschwörerisch zu. »Machen Sie sich auf was gefaßt, Blaue!«
47
Jerusha lag auf der niederen Couch in ihrem Stadthaus, ein Fuß hing heraus und verband sie mit dem Boden,
sonst könnte ich einfach zur Decke schweben.
Sie lächelte und spulte die Ereignisse der letzten Tage noch einmal vor ihrem inneren Auge ab, während sie mit einem Ohr den lärmenden Feierlichkeiten auf der Straße lauschte und sich einredete, das alles geschähe ihretwillen.
Nun, wenigstens die Hälfte davon sollte für mich sein.
Sie öffnete ihre Uniformtunika etwas weiter. Ein einziges Mal hatte sie sie nicht sofort abgenommen, als sie nach Hause gekommen war .. zum erstenmal fühlte sie sich wohl als Blaue und als Kommandant der Polizei.
Sie hörte Mond Dawntreader im Nebenzimmer im Schlaf seufzen und stöhnen. Auch das Mädchen, das doch gewiß sehr müde sein mußte, konnte hier nicht ruhig schlafen. Jerusha hatte überhaupt noch nicht geschlafen, und doch war bereits ein neuer Tag angebrochen, allerdings nur
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