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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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keine Regenbogen mehr gäbe?« Sie stülpte die Kapuze ihres Gewandes zurück und löste die Riemen über ihre Kehle. Locken, weiß wie Milch, fielen heraus und über ihre Schultern. Ihre Augenfarbe entsprach einer Mischung aus Moos und Nebel. Sie sah empor, zwischen Mast und Segel hindurch, und blinzelte, als sie die Sonnenstrahlen zwischen den Wolken bemerkte, die hier zu Nichts verblaßten, dort aber wieder gebrochen und reflektiert wurden, bis man sie doppelt und dreifach sehen konnte.
    Funke schöpfte eine weitere Kelle hinaus, ehe er aufsah um ihrem Blick zu folgen. Auch ohne die Sonnenbräune war seine Haut für einen Inselbewohner schon recht dunkel. Doch Wimpern und Brauen, die so weiß wie ihre waren, beschatteten den Blick aus den Augen, die die Farbe wechselten wie das Meer. »Komm schon, wir werden immer Regenbogen haben! Solange wir die Zwillinge und den Regen haben. Eine einfache Frage der Lichtbrechung, ich habe dir doch gezeigt ... «
    Sie haßte es, wenn er so technisch daherredete – vor allem die gedankenlose Arroganz seiner Stimme. »Das weiß ich. Ich bin nicht dumm.« Sie zog ruckartig an der kupferfarbenen Locke.
    »Au!«
    »Aber ich höre es trotzdem lieber, wenn Gran sagt, es ist das Versprechen der Herrin auf reiche Ernte, anstatt zuzuhören, wie man ihm völlig die Bedeutung nimmt. Und du auch, oder etwa nicht, mein Sternenkind. Gib's zu!«
    »Nein!« Zornbebend stieß er ihre Hand weg. »Du sollst damit keinen Scherz treiben, verdammt!« Er wandte ihr den Rücken zu und schöpfte. Sie stellte sich vor, wie seine Knöchel über dem rostigen Griff weiß wurden: das Geschenk, das dieser Außenweltlerfremde beim letzten Ball seiner Mutter gegeben hatte. »Unser aller Mutter ...«
    Das war etwas, das wie eine Mutter zwischen ihnen stand – ihr Wissen um ein Erbe, das er nicht mit ihr teilte, und auch nicht mit sonst jemandem, den sie kannte. Sie waren Sommerleute, und ihr Volk hatte kaum Kontakt mit dem technikbesessenen Wintervolk, das mit den Außenweltlern gemeinsame Sache machte – abgesehen von den Bällen, wenn die Abenteuerlustigen und Lebensfrohen der ganzen Welt sich in Karbunkel versammelten, wenn sie Masken überzogen und ihre Unterschiede vergaßen, um die regelmäßige Visite des Premierministers zu feiern, sowie eine Tradition, die wesentlich älter war.
    Ihre beiden Mütter, die Schwestern waren, waren anläßlich des letzten Balles nach Karbunkel gekommen, und beide waren schwanger nach Neith zurückgekehrt, wie ihre Mutter ihr gesagt hatte, trugen sie »die Erinnerung an eine zauberhafte Nacht« in sich. Sie und Funke waren am selben Tag geboren worden, seine Mutter war im Kindbett gestorben. Ihre Großmutter hatte sie beide aufgezogen, während ihre Mutter mit der Fischfangflotte auf See gewesen war. Sie waren zusammen aufgewachsen – wie Zwillinge, dachte sie oft: seltsame Zwillinge, Wechselbälger, die unter den unbehaglichen Blicken der verstockten, provinziellen Inselbewohner aufgewachsen waren. Es hatte immer einen Teil in Funkes Wesen gegeben, der ihr verschlossen gewesen war: der Teil, der die Sterne flüstern hörte. Er feilschte bis aufs Messer mit fahrenden Händlern, um technischen Krimskrams von anderen Welten, brachte Tage damit zu, diese auseinanderzunehmen und wieder zusammenzubauen, nur um sie dann, nach einem plötzlichen Wutanfall, zusammen mit einem Opfer aus Blättern, ins Meer zu werfen.
    Mond verbarg seine technischen Geheimnisse vor Gran und der Welt, und sie war dankbar, daß er sie wenigstens daran teilhaben ließ, ohne jedoch einen gewissen Widerwillen fallenzulassen. Nach allem, was sie wußte, hätte auch ihr Vater ein Wintermann, oder wenigstens ein Außenweltler sein können, doch baute sie sich geflissentlich eine Zukunft auf, die unter ihrem Himmel Platz hatte. Deswegen fiel es ihr schwer, mit Funke Geduld zu haben, der ungeduldig war und hin- und hergerissen wurde zwischen dem Erbe, mit dem er lebte, und dem, das ihm die Sterne verhießen.
    »Oh, Funke.« Sie beugte sich nach vorne und legte ihm die kalte Hand auf die Schulter, um die verkrampften Muskeln unter seiner Kleidung und dem Wachstuch zu massieren. »Ich treibe keinen Scherz. Das wollte ich nicht, tut mir leid«, dachte dabei aber:
Lieber habe ich überhaupt keinen Vater, als mein Leben lang
mit einem Schatten zu leben.
»Sei nicht traurig. Schau her!« Blaue Funken tanzten über dem weiten Ozean, rote Funken in seinem Haar. Schwingenfische huschten über den Wogen des Meeres

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