Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
plötzlich und mit atemberaubender Geschwindigkeit, und nahm Starbuck die Waffe aus der Hand – »... diese Waffen hier keine Spielzeuge sind.« Der Griff der Waffe glitt in ihre Hand, der Lauf deutete wie ein mahnender Finger auf Starbuck, der näherkam. Sie hörte das entzückte Zwitschern der Zuschauer. »Eine Energiewaffe sollte nur dann auf jemanden gerichtet werden, wenn man ihn zerstören will.« Starbuck erstarrte in der Bewegung, sie bemerkte das Spiel seiner Muskeln. Sie senkte die Waffe. »Ein Abwehrfeld versagt einmal in fünf Fällen. Eure Adligen sollten sich das merken.« Die Königin brach in ein amüsiertes Lachen aus, worauf Starbucks Kopf sich dem Thron zuwandte. Licht tanzte an den Verzierungen seines Helms.
»Danke, Inspektor.« Arienrhod nickte und gestikulierte mit den Fingern. »Aber die Mängel und Unzulänglichkeiten Ihrer Außenweltausrüstung sind uns durchaus vertraut.«
Jerusha blinzelte ungläubig, dann hielt sie Starbuck die Waffe, Griff voraus, wieder hin.
»Das wird dir noch leidtun, du Miststück!« zischte er nur für ihre Ohren. Er entwand ihr die Waffe schmerzhaft und schritt zum Thron zurück.
Sie verzog unwillkürlich das Gesicht. »Dann werde ich nun, mit Eurer Erlaubnis, Eure Majestät, den monatlichen Bericht des Kommandanten über Verbrechen in der Stadt abgeben.«
Arienrhod nickte und legte besitzergreifend eine Hand auf Starbucks Arm, als wollte sie einen getretenen Hund besänftigen. Die Adligen entfernten sich katzbuckelnd aus der Nähe der Königin. Jerusha unterdrückte ein Lächeln schmerzlichen Einfühlungsvermögens. Dieser Bericht war nicht bedeutender als all die hunderte zuvor, oder die, die noch folgen würden. Sie schaltete den Recorder an ihrem Gürtel ein und hörte der Stimme des Kommandanten zu, der Statistiken über die Zahl von Mordanschlägen und Raubüberfällen, Festnahmen und Verurteilungen von einheimischen oder Außenweltler-Verbrechern und Opfern herunterrasselte. In ihrem Verstand wurde die Stimme zu einem bedeutungslosen Singsang, der längst vertrautes Bedauern und sinnlose Frustration wieder erwachen ließ. Bedeutungslos ... alles war bedeutungslos.
Die Hegemoniepolizei war eine paramilitärische Macht, die auf allen Welten der Hegemonie stationiert war, um deren Interessen und Bürger zu schützen – was sich normalerweise mit dem Schutz der Interessen der Regierenden der betreffenden Welten deckte. Hier auf Tiamat, mit seinem niedrigen technologischen Standard und der spärlichen Bevölkerung (von der grob die Hälfte von der Hegemonie überhaupt nicht beachtet wurde), bestand diese Polizeitruppe lediglich aus einem Regiment, das in Karbunkel und um den Raumhafen herum stationiert war.
Ihre Aktivitäten waren belanglose, unwichtige und lachhafte Bagatellen: das Schlichten von Raufereien Betrunkener, das Einsperren von Dieben, ein endloser Reigen von Augenauswischerei und vergeblichen Maßnahmen, während direkt vor ihren Augen einige der barbarischsten Verbrechen der zivilisierten Galaxis ungeahndet blieben, und der bösartigste Abschaum der Menschheit sich ungestraft und öffentlich in den Freudenhöllen und Spelunken treffen konnte, wo er zu Hause war.
Der Premierminister mochte wohl die Hegemonie symbolisieren, aber kontrollieren konnte er sie schon lange nicht mehr, wenn er das überhaupt je getan hatte. Sie wurde von der Ökonomie kontrolliert, ihre wahren Wurzeln waren schon immer die Kaufleute und Händler gewesen, und deren einziger Herr, den sie anerkannten, war der Profit. Aber es gab viele Arten von Handel und viele Arten von Händlern ... Jerusha betrachtete Starbuck, der sich arrogant zur Rechten der Königin räkelte: lebendes Symbol für den Pakt der Königin mit den Mächten von Licht und Dunkelheit und deren Manipulation ihrerseits. Er verkörperte alles Verkommene, Abscheuliche und Korrupte in Karbunkel.
Schuld und Sühne auf Tiamat – speziell also in Karbunkel –, waren, wie auf anderen Welten der Hegemonie auch, aufgeteilt unter der Jurisdiktion zweier Gerichte, einem stand ein Eingeborener vor, den das Wintervolk gewählt hatte, dem anderen der Justizchef der Außenweltler, der die hier ansässigen Außenweltler nach den Gesetzen der Hegemonie aburteilte. Die Polizei war der verlängerte Arm beider Instanzen, und nach Meinung Jerushas hätte die Zusammenarbeit eigentlich fruchtbar sein müssen. Aber Arienrhod tolerierte – ja, förderte sogar – die Existenz einer Unterwelt, womit sie eine Art Limbo
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