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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Da waren die geschlossenen Fahrstuhlkabinen, die den Technikern sicheren Zutritt zu den zahllosen Etagen verschafften, und der konstante Luftstrom, der aus dem hohlen Herzen von Karbunkel emporstieg, verursacht von einem Sog, nicht unähnlich dem eines Schornsteins. Hier war der einzige Teil der Stadt, der nicht vollständig von den Sturmwällen versiegelt wurde. Die bitterkalten Winde des offenen Himmels fegten wie wild durch diesen Raum und sogen den Atem aus diesem unterirdischen Hohlraum. Hier, hoch oben in der Luft, konnte man immer besonders stark den Geruch des Meeres wahrnehmen, und dauernd war ein klägliches Wimmern zu hören, wenn der Wind über die unregelmäßigen Vorsprünge des Schachtes pfiff.
    Und da waren, freischwebend in der Luft wie gewaltige bizarre Mobiles, transparente Flächen aus einem unverwüstlichen Material, die sich wie Wolken bewegten und die tückische Strudel und Wirbel in dem Luftstrom erzeugten. Und es gab nur einen einzigen Weg zu den obersten Etagen des Palastes – durch diesen Saal. Hier wurde der Korridor zu einer Zugbrücke, die den Abgrund wie ein Lichtband überspannte. Sie war breit genug, daß man bei ruhigen Luftverhältnissen gefahrlos darüber hinweggehen konnte, doch der hungrige Sog des Windes machte sie zur tödlichen Falle.
    Der Älteste Wayaways pfiff einen leisen Ton mit seiner Flöte, dann schritt er zuversichtlich aus, während es rings um ihn her ruhig wurde. Jerusha folgte ihm fast auf den Fersen, erfüllt von dem Drang, sie und Gundhalinu mit in den Globus ruhiger Luft einzuschließen. Der Älteste ging mit weit ausholenden, ruhigen Schritten weiter und spielte einen zweiten Ton, dann einen dritten. Die Kugel ruhiger Luft umgab sie immer noch, doch Jerusha hörte Gundhalinu hinter sich vergeblich den Namen eines unbekannten Gottes anrufen, als er einen Schritt langsamer wurde und der Wind über seinen Rücken strich.
    Das ist Wahnsinn!
Sie wiederholte die Litanei von Furcht und Abscheu wieder, wie immer, wenn sie über die Brücke ging.
Was für ein sadistischer Wahnsinniger kann sich nur dieses Tollhaus ausgedacht haben ... ?
Sie wußte, die Technologie, die das hier entwikkelt hatte, hätte den Effekt mit Leichtigkeit umgehen können, wenn er lediglich als Vorbeugungsmaßnahme gedacht gewesen wäre. Doch auch bei dem technologischen Wissen, das dem Wintervolk von Tiamat derzeit gewährt wurde, war es noch effektiv genug. Welcher Irre ohne jegliche Nerven sich das auch ausgedacht haben mochte, sie vermutete, es diente den Zwecken der gegenwärtigen Königin nur zu gut.
    Sie befanden sich bereits auf der Mitte der Brücke. Sie hielt den Blick auf den Rücken des Ältesten fixiert und konzentrierte sich ganz auf den atonalen Laut der Pfeife, mittels dessen der Windbesänftiger den schrillen Todeshauch aus der Grube zurückhielt. Das war keineswegs ein geheimer Zauberspruch, sondern einfach nur die akustische Aktivierung automatischer Kontrollen, die dem Wind zur Sicherheit von Besuchern die Wucht nahmen, um sie nicht zu gefährden. Dieses Wissen war allerdings keine allzu große Beruhigung, wenn sie an das menschliche Fehlerpotential oder die Möglichkeit eines plötzlichen Versagens eines so uralten Systems dachte. Einst hatte es Kontrollkästchen gegeben, die denselben Zweck wie heutzutage die Flöte des Pfeifers erfüllt hatten, aber soweit ihr bekannt war, hing das letzte noch funktionierende am Gürtel Starbucks.
    In Sicherheit.
Ihr Fuß ertastete die Sicherheit des anderen Endes der Brücke. Sie kämpfte den fast übermächtigen Wunsch nieder, einfach ihre Knie nachgeben und sich zu Boden sinken zu lassen. Gundhalinus verschwitztes Gesicht grinste ihr verschwörerisch zu. Sie fragte sich, ob auch er versuchte, nicht an den Rückweg zu denken. Sie sah wieder nach vorne und erkannte den Triumph in der Gangart des Älteren Wayaways, der sie weiter zum Audienzsaal führte.
    Selbst hier, so nahe am Pinnakel Karbunkels, war die Halle erdrückend in ihren Dimensionen. Sie konnte sich vorstellen, daß eine komplette Villa von Neuhafen, ihrer Heimatwelt, darin Platz finden würde. Fasergehänge in kalten Pastelltönen hingen von den geometrischen Bögen der säulengetragenen Halle herab, sie klingelten und klirrten mit dem exotischen Lied tausender winziger, handgefertigter Silberglöckchen.
    Und am anderen Ende des weißen Teppichs – einem Import von den Außenwelten – saß die Schneekönigin auf ihrem Thron wie die Inkarnation einer Gottheit, ein

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