Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
»LiouxSked. Ich will, daß er dafür bezahlt. Die Blauen sollen leiden. Ich wünsche, daß man sich seiner annimmt und sich seiner entledigt.«
»Du möchtest deswegen den Polizeichef beseitigen lassen?« Starbucks Stimme verriet das Ausmaß seiner Verblüffung.
»Nein.« Sie spielte kopfschüttelnd mit den Ringen an ihren Fingern. »Das wäre zu wenig. Ich will ihn ruinieren. Ich will ihn vollkommen entehrt sehen. Er muß alles verlieren: seine Position, den Respekt seiner Freunde, seinen Respekt vor sich selbst. Ich möchte ihn degradiert sehen. Du kennst die Art von Leuten, die das bewerkstelligen können ... Geh ins Labyrinth und leite alles in die Wege!«
Starbucks dunkle Augen füllten die Sehschlitze seiner Maske mit einer noch dunkleren Neugier. »Warum, Arienrhod? Warum das alles? Wegen einer Sommerschlampe, die du nie gesehen hast? Zuerst den Jungen, um sie herzulocken, nun das, weil sie verschwunden ist ... Was, bei den sieben Kreisen der Hölle, bedeutet sie für dich?«
»Sie bedeutet etwas für mich ... « Sie atmete ein und hielt den Atem an,
»bedeutete
etwas für mich, das ich dir nicht mit wenigen Worten erklären kann, selbst wenn ich es wollte.« Sie hatte ihn nur in das Wesentlichste der Angelegenheit eingeweiht, weder Fisch noch Fleisch, als seine Eifersucht auf den Jungen ihn unberechenbar gemacht hatte. Solange er der Überzeugung war, daß ihr Interesse an anderen Liebhabern nur eigennützig war, blieb er ruhig. Aber Funke war mehr als das, und sie war nicht die einzige, die das bemerkte. Ihr gefiel Starbucks besitzergreifende Art nicht, doch, wie viele seiner Schwächen, hatte sie auch ihre nützlichen Seiten. So hatte sie ihm von der Existenz des Mädchens erzählt, weiter nichts ... »Und da sie nun verschwunden ist, besteht auch keine Veranlassung mehr, dich weiter einzuweihen. Vergiß sie!«
Was ich auch tun muß .. .
»Und der Junge?« fragte er reuig.
»Den kannst du auch vergessen, wenn es dir dadurch besser geht.« Sie sah ihn die Stirn runzeln.
Je weiter man sich zurückzieht, desto entschlossener ist man.
Sie dachte an Funke Dawntreader. »Konzentriere dich auf LiouxSked, dann wird es auch mir viel, viel besser gehen.« Sie berührte ihn sanft am Arm.
Er entspannte sich unter ihrem Griff und nickte. »Was ist mit PalaThion? Schließlich war es ihre Schuld, daß die Schmuggler den Planeten verlassen. konnten. Soll ich auch bezüglich ihr .. . Vorbereitungen treffen?«
»Nein.« Sie blickte zum Saal der Winde. »Mit ihr habe ich andere Pläne. Sie wird bezahlen ... glaub mir, sie wird bezahlen. Und nun geh! Ich möchte, daß alles möglichst rasch geschieht.«
Er verbeugte sich und verließ den Saal. Sie blieb allein zurück in der gewaltigen, weißen Stille.
14
Funke lag auf dem Bett seiner Privatsuite ausgestreckt, seine Finger folgten der Linie einer fremden Ranke in der kunstvollen Schnitzerei.
Verschwunden. Sie ist verschwunden ...
Er wiederholte die Worte immer wieder, wie er auch immer und immer wieder dasselbe Muster nachzeichnete. Aber ihm fehlte die Kraft zu glauben – die Kraft zu reagieren, sich zu bewegen, zu fühlen. Keine Tränen. Wie konnte sie von dieser Welt verschwunden sein – so unwiederbringlich, als wäre sie gestorben? Doch nicht Mond, die vom Tag seiner Geburt an Teil seines Lebens gewesen war. Nicht Mond, die geschworen hatte, immer Teil seines Lebens zu bleiben .. .
Mond, die ihren Schwur gebrochen hatte und zur Sibylle geworden war. Warum? Warum hatte sie ihm das angetan? Warum hatte sie ihm nun auch noch das angetan? Weil sie sich in dem Glauben gewogen hatte, er würde niemals zurückkehren? Wäre er doch nur schon vor langer Zeit wieder nach Neith zurückgekehrt! Wenn er bei ihrer Heimkehr dagewesen wäre, hätte sich wahrscheinlich alles anders entwickelt.
Aber er war nicht zurückgekehrt. Zuerst, weil alles schiefgelaufen war, dann, nachdem die Königin ihn zu sich gerufen hatte, weil alles gut gelaufen war. Und natürlich wegen Karbunkel. Neith und die ganze Sommerwelt schienen inzwischen so weit entfernt und grau wie eine Nebelbank zu sein, das einzig Reale war das Kaleidoskop des Stadtbildes, das seine Sinne und Empfindungen so sehr ausgeweitet hatte, daß er nun nie mehr in die enge, begrenzte Welt der Inseln würde zurückkehren können. Das Meer ... das Meer war für die Stadtbewohner nichts weiter als eine Wasserschicht, die eine Felskugel bedeckte. Sie fluchten bei tausend Göttern, zu denen sie aber selten beteten – und
Weitere Kostenlose Bücher