Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
angelegentlich ihre Füße. »Verdammt, ich wünschte, ich hätte eine Erklärung dafür.« Sie seufzte. »Aber ich bin froh, daß du es mir erzählt hast.« Dann blickte sie Mond wieder in die Augen und lächelte wehmütig. »Wenn einer überlebt, dann er. Du hast ihm gezeigt, wie man überlebt, bevor er Tiamat verlassen hat.«
Mond schaute unsicher drein.
»Er war ein tüchtiger Mann, einer meiner besten. Aber er war stur, und sein Stolz machte ihn verletzlich. Seine Gefangenschaft bei den Nomaden hätte ihn umgebracht, wenn du ihm nicht gezeigt hättest, wo seine wahre Stärke liegt. Ich gab ihm seine Karriere zurück, du jedoch hast ihm sein Leben wiedergegeben, du hast ihn erst zu einem Mann gemacht.« Ihr Lächeln wurde fröhlicher. »Götter, du hättest hören sollen, wie er über dich sprach. Ich traute meinen Ohren nicht.«
Mond drehte sich um und öffnete den Mund.
»Mond!« Plötzlich war Funke bei ihr, riß sie an seine Brust und küßte sie. Sie spürte den Druck seiner Arme, fühlte seine warme Haut, die nach See, Sonne und Schweiß roch. Seine Augen leuchteten grün wie das junge Gras, und das rote Haar bewegte sich im Wind wie züngelnde Flammen. Sein hübsches, friedvolles Gesicht war ihr so vertraut wie ihr eigenes. Sie schmiegte sich an ihn, kuschelte sich in seine verläßlichen, starken Arme, und sah, wie Jerushas Miene nachdenklich und verschlossen wurde. Mond schaute über das endlose weite Meer, bis nur noch der Ozean ihre Augen füllte, und versuchte sich einzureden, sie hätte die Inseln niemals verlassen, es gäbe keine verlorene Zeit, keine Trennung und keine bitteren Geheimnisse.
»Mama! Mama!« Die Zwillinge und Merovy gesellten sich zu ihnen. Sie schaute in Merovys blasses, sommersprossiges Gesicht, das von braunen, windzerzausten Haaren umrahmt wurde, und dachte daran, wie sehr die Kinder gewachsen waren. Die Zwillinge reichten ihr bis zur Brust, während sie darum kämpften, wer sie zuerst umarmen durfte. Sie legte die Arme um die Kinder, die sie rückhaltlos und voller Wärme liebten ... und verdrängte die Zweifel, das Unmögliche, die Vergangenheit, auf die sie keinen Anspruch mehr hatte.
»Mama, sieh nur, ich habe einen Karbunkel gefunden!« Tammis hielt einen der leuchtenden, blutroten Steine hoch, die an Tiamats Küsten angeschwemmt wurden; nach diesen Halbedelsteinen war angeblich die Stadt benannt worden, aber es konnte auch umgekehrt sein. »Und schau dir nur unsere Muscheln an!«
»Ich habe eine gefunden, die genauso aussieht wie die von Da, er wird mit eine Flöte daraus machen!« Ariele fuchtelte mit einer schlanken, korkenzieherartig gedrehten Muschel vor Monds Gesicht herum.
»Nein, das ist meine!« schrie Tammis. »Es wird meine Flöte! Ich habe die Muschel gefunden!«
»Ich habe sie Ariele versprochen«, mischte sich Funke ungeduldig ein. »Du mußt noch warten.«
»Wenn er die Muschel gefunden hat, dann gehört sie ihm«, entschied Mond und brachte die streitenden Kinder auseinander. »Such dir selbst eine, Ariele, so lange mußt du mit deiner Flöte noch warten.«
»Nein!« Ariele schüttelte trotzig den Kopf. »Ich will jetzt gleich eine haben.«
»Du kannst meine benutzen«, sagte Funke und hob ihr Kinn an.
Ariele sah zu ihrem Vater empor und strahlte; Tammis' Lächeln hingegen erlosch. Um ihn abzulenken und zu trösten, berührte Mond seine Schulter. »Zeig mir, was du gefunden hast.«
»Hier, das ist für
dich.«
Sie lachte und stieß erstaunte Rufe aus, während sie seine Hände mit den Muscheln hielt. Ihr wurde warm ums Herz, sie hörte nicht mehr auf die Stimme aus der Vergangenheit, die ihren Namen rief und sich in die fröhlich-turbulente Gegenwart hineindrängte.
»Na so etwas, was haben wir denn da?«
Als Mond die vergnügte Stimme ihrer Großmutter hörte, drehte sie sich um. Langsam, aber stetig kletterten Gran und Borah Clearwater den Hügel herauf, begleitet von Miroe, ihrem Gastgeber. Jetzt sah Mond ihr kleines Segelboot, das drunten an der Anlegestelle lag, und sie wunderte sich, daß sie ihr Herannahen nicht bemerkt hatte. Miroe mußte sie vom Haus aus entdeckt haben. Mit ausgelassener Fröhlichkeit rannten die Kinder auf die Neuankömmlinge zu.
Mond lächelte; die Augen ihrer Großmutter leuchteten auf, als sie merkte, wie sehr die Kinder sich über ihren Besuch freuten. Mond stellte sich vor, das Paar, das näher kam, sei sie und Funke. Für sie war Borah Clearwater wie der eigene Großvater, an den sie sich kaum noch erinnern
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