Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
ab.
Gundhalinu sah zu, wie er den Helm an seinen Platz rückte und versiegelte. Er fragte sich, ob Kullervo von einem inneren Zwang getrieben wurde oder sich lediglich von einem falschverstandenen Ehrgefühl leiten ließ. Er selbst hatte beide Zustände durchgemacht. Rasch und methodisch prüfte er seinen eigenen Helm – die kleine harte Ausbuchtung hinten an der transparenten Kugel, wo sich die Sauerstoffpatrone und der Recycler befanden. Nachdem er sein Hemd abgestreift hatte, setzte er sich den Helm auf und drückte das Siegel gegen die bloße Haut. Es fühlte sich an, als sauge sich ein Mund an seinem Körper fest, es war eine sinnliche, beunruhigende Empfindung. Als er tief einatmete, begann der Sauerstoff zu strömen; die schattengleichen Datenanzeigen drifteten in sein Blickfeld wie durchsichtige Fische, völlig bedeutungslos an diesem Ort, wo sich alles ständig veränderte. »Können Sie mich hören?« fragte er.
»Ja ... ich kann Sie hören. Hören Sie mich?« erwiderte Kullervo mit tonloser Stimme.
»Alles in Ordnung. Wenn wir drunten beim Wrack sind, versetzen Sie mich in den Transfer, und wir beginnen mit der Besichtigung.«
»Wie zwei Touristen ...«, meinte Kullervo.
Gundhalinu lachte überrascht, als er merkte, daß Kullervo absichtlich einen Scherz gemacht hatte. »Wie zwei Fremde, fern von ihren Heimatwelten«, ergänzte er und blickte auf den sich dahinschlängelnden Fluß. Derweil nagte der Feuersee an seinem Hirn, atmete und murmelte in seinem Kopf. Er gab sich einen Ruck und watete in das laue Wasser hinein – es war kühl genug, um seinen schwitzenden Körper zu erfrischen, aber immerhin so warm, daß sich seine verspannten Muskeln lockerten. Auf einmal glaubte er, ein Prickeln auf seiner Haut zu spüren, war sich aber nicht sicher, ob es an einem Energiefeld lag oder an seinen überreizten Nerven. Einmal drehte er sich um, weil er sich vergewissern wollte, ob Kullervo ihm folgte. Der watete mit steifen, unsicheren Bewegungen in den Fluß hinein.
Gundhalinu verlangsamte sein Tempo, als das Wasser ihm bis zur Brust reichte. Die Strömung massierte seinen Leib, aber es bestand keine Gefahr, daß sie ihn von den Füßen riß. Die Wirbel, die sich hier bildeten, waren genauso unberechenbar wie alle anderen Phänomene.
Ehe er untertauchte, holte er unnötigerweise tief Luft. Er schwamm hinab in die klare, warme Tiefe, darauf vertrauend, daß Kullervo ihm nachkam. Als er durch das kristallklare Wasser nach unten spähte, sah er, wie der rote Fels jählings abbrach. Wie tief das Wrack lag, vermochte er nicht zu schätzen. Seine an eine Blume erinnernde, organische Form, war deutlich zwischen dem dunkelgrünen Flechtwerk aus Pflanzen zu sehen, die den steinigen Boden mit einem verschlungenen Muster verzierten.
Wie ein Traum ...
Das hatte er gedacht, als er das Wrack zum erstenmal sah, und so empfand er auch jetzt noch. Er kam sich vor, als sei er von seinem Schicksal dazu verdammt, immer wieder in diese Traumwelt zurückzukehren, bis der See ihn entweder zugrunde richtete, oder sie einander befreiten.
Er drehte sich um und sah über sich Kullervo, umgeben von einem Lichthof, wie die Antwort auf ein Gebet. Als er spürte, wie er nach oben getragen wurde, schwamm er weiter nach unten, auf die Quelle des Flusses zu.
Nun türmte sich unter ihm das Wrack auf, und das reflektierte Licht blitzte in seinen Augen; die Teile des Sternenschiffs waren so hervorragend konserviert, als sei es erst kürzlich abgestürzt, und nicht schon vor vielen Jahrtausenden. Dabei war -er sich sicher, daß es das erste Mal nicht so neu ausgesehen hatte; ehe er das Geheimnis lüften konnte, hatte der Feuersee die Zeit manipuliert und das Schiff verjüngt. Nur allzu gut erinnerte er sich, wie der See in seinem Kopf vor Begeisterung getobt hatte, als er endlich die geborstenen Trümmer auf dem Grund des Flusses richtig identifizieren konnte ... Plötzlich wurde ihm bewußt, daß seine Gedanken sich um so mehr klärten, je tiefer er hinabtauchte, wie wenn der See seine normalen Funktionen unterstützen wollte.
Endlich erreichten sie das Wrack, gerade als sie meinten, nicht nur im Wasser zu schwimmen, sondern auch in der Zeit. Gundhalinu streckte die Hand aus, und als sie sich über dem kalten, glatten Metall schloß, fühlte er sich vor Triumph wie elektrisiert. Er hielt sich fest, damit die Strömung, die aus unvorstellbarer Tiefe nach oben schoß, ihn nicht davontrug. Kullervo atmete erleichtert auf, als auch er das
Weitere Kostenlose Bücher