Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
von feindseligen Fremden umringt wurde, die alle die gleichen Solii-Anhänger trugen ... und wie Reede in Mundilfoeres Beisein dafür sorgte, daß man ihm nichts zuleide tat ... Mundilfoere, unverschleiert und in Männerkleidung, um den Hals das Solii-Medaillon.
Reedes Finger schlossen sich um den Anhänger, und er hob den Arm ... doch anstatt das Medaillon in den Verbrennungsschacht zu schleudern, hielt er plötzlich inne. Mit unbeholfenen Bewegungen befestigte er den Anhänger wieder an der Kette und verknotete diese an seinem Hals. Er hatte aufgehört zu weinen.
Als er sich umdrehte, entdeckte er Kedalion, den stummen Zeugen seines Kummers. Er ging zu ihm, sicheren Schrittes, aber mit Augen, die leer und tot waren wie eine Wüste. Vergeblich bemühte sich Kedalion, aufzustehen; Reede kniete neben ihm nieder und berührte sein Gesicht, Als er die Hand zurückzog, waren die Fingerspitzen blutig. Beinahe ungläubig stierte Reede auf das Blut und wischte sich die Hände an der Montur ab. Unvermittelt sackte er in sich zusammen und preßte sich die Arme gegen den Kopf. »O Götter ... nein, nein ...« Er klang wie ein Mann, den man aufs brutalste gequält hatte.
Erschüttert beugte sich Kedalion vor, hütete sich aber, Reede anzufassen. »Reede ...«, flüsterte er und verstummte; er wußte nicht, wie er mit Worten oder Gesten zu einem Mann durchdringen konnte, der sich schon immer jedem Zugriff entzogen hatte – wie Quecksilber, und genauso schillernd und tödlich. Von Anfang an hatte Kedalion gespürt, daß Reede hart am Abgrund des Wahnsinns balancierte ... Nun hatte er jeden Halt verloren und stürzte hinab ... »Reede ...«, wiederholte Kedalion, weil ihm nichts Besseres einfiel, jedes andere Wort wäre ihm unangemessen und obszön vorgekommen. Er wollte dem Mann, der zusammengekrümmt wie ein Fötus am Boden lag, nur zu verstehen geben, daß er noch existierte, und daß er nicht allein den Feinden ausgeliefert war. Immer wieder sagte er seinen Namen.
Endlich hob Reede langsam den Kopf und ließ die Arme sinken. Während er Kedalion anstarrte, tobten noch Alpträume hinter seinen Augen, doch dann streckte er unsicher die Hand aus.
Kedalion nahm sie und hielt sie fest; er fing Reede auf, der sich plötzlich an ihn klammerte wie ein Kind. »Reede«, flüsterte Kedalion, »was ist passiert?«
Reede ließ ihn los und lehnte sich gegen einen Tisch. »Jaakola ...«, sagte er, und einen Moment lang wirkte er wieder vollkommen verwirrt. Er hielt sich den Mund zu, und es dauerte eine Weile, ehe er weitersprach. »Mundilfoere ... Er hat sie umgebracht, sie ist tot ... Er hat sie zu Tode gefoltert.« Er wandte das Gesicht ab und starrte auf den Verbrennungsschacht. Kedalion preßte die Lippen zusammen. Das Sprechen fiel Reede schwer, er mußte ein paarmal krampfhaft schlucken. »Und er ... er sagte ... sagte ... ich wüßte nicht, wer ich bin ... was ich bin. Ich sei nur ein Stück Fleisch. Sie hätte mich benutzt, mir eine Gehirnwäsche verpaßt, mir den Geist eines anderen Menschen eingepflanzt ... Ich verstehe das nicht ...« Er ballte die Fäuste, und in seinem Gesicht zuckte es. Kedalion wartete, bis Reede sich beruhigt hatte und wieder die Augen öffnete.
»Wer?« fragte er leise.
»Mundilfoere! Er sagte, sie hätte mich geliebt ...« Seine Stimme brach ab. »Aber ich sei nichts weiter als ein Stück Fleisch.«
Kedalion schüttelte den Kopf. »Er hat gelogen. Er wollte dich nur verletzen ...«
»Nein!«
Es klang wie ein Schmerzensschrei. »Ergibt
dein
Leben einen Sinn?«
Kedalion lachte. »Im Augenblick nicht, Boss«, antwortete er, und bereute seine Entgegnung, als Reedes Miene sich verfinsterte.
»Passen deine Erinnerungen zusammen?« schrie Reede ihn an. »Verdammt noch mal!«
Kedalion streckte ihm eine Hand entgegen; Reede ergriff sie und hielt sie fest umklammert. »Ja«, sagte Kedalion, »mein Leben ergibt einen Sinn, meine Erinnerungen passen zusammen.«
»Meine nicht«, flüsterte Reede. »Es ist, als sei in meinem Kopf eine Granate explodiert. Trümmer ... Fragmente ... Nichts fügt sich zusammen, manche Erinnerungen sind völlig unmöglich: ohne Schutzanzug im Weltraum zu arbeiten ... im Vakuum; von einem Planeten zum anderen zu hüpfen – in richtigen Sternenkreuzern, keinen Münzenschiffen, zu Welten zu reisen, die gar nicht existieren. Wildfremde Menschen lieben mich ...« Er faßte nach seinem Ohrgehänge. »In einer Vision trage ich einen solchen Ohrschmuck ... Durch ihn kann ich
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