Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
genauso prekär, wie sein eigener seelischer Zustand vor der Entdeckung des Stardrive-Plasmas gewesen war.
Seine Arbeit mit dem Plasma und dem Antriebsaggregat verschaffte ihm eine Vorstellung davon, wie rückständig Kharemoughs Technik im Vergleich mit der des Alten Imperiums war. Sie brüsteten sich mit ihrer technischen Überlegenheit, dabei verharrten sie in Vergangenem, in einem System, das auf Bequemlichkeit, Engstirnigkeit und Arroganz beruhte. In den Datenbanken des Sibyllennetzes existierten zahllose Pläne für Erneuerungen, doch ohne den hyperlichtschnellen Antrieb sah niemand eine Veranlassung, sie in die Tat umzusetzen; das System funktionierte ja, und die Leute an den Schalthebeln der Macht glaubten, in Anbetracht ihres eingeschränkten Zugangs zu den Sternen in der bestmöglichen aller Welten zu leben. »Wenn die tausend Jahre erst vorbei sind«, pflegten sie zu sagen und meinten damit: »Wenn wir erst wieder den Stardrive haben.« Nun, jetzt hatten sie ihn, und nur die Götter wußten, welchen Wandel er für alle Beteiligten nach sich ziehen würde. Das Alte Imperium hatte der Hegemonie einen Spiegel vorgehalten, und sie als das entlarvt, was sie in Wirklichkeit war: ein unbedeutendes, feudalistisches Handelsnetz. Aber auch das Alte Imperium hatte Probleme gehabt – und war an ihnen gescheitert.
Bei der unsicheren Zukunft, die er erwartete, hielt er sich gern an Orten wie diesem auf, der ihm ein Gefühl von Beständigkeit, Tradition und vollkommenem Frieden vermittelte. In dem Zimmer wurden Erinnerungen in ihm wach, es erfüllte ihn mit einer Zufriedenheit, wie er sie fast sein halbes Leben lang nicht mehr gekannt hatte.
Nach seiner Rückkehr hatte er sich ständig im Weltraum aufgehalten und sich mit jedem Aspekt des neuen Stardrive vertraut gemacht, sofern man ihm Zugang zu den technischen Stätten gewährte – und durch sein neues Prestige und seine Survey-Kontakte war sein Einfluß enorm gewachsen.
Noch vor seiner Ankunft hatte er die Regierung via Sibyllen-Transfer von den neuen Entdeckungen unterrichtet, so daß man gleich damit anfing, neue Schiffe, die für Überlichtgeschwindigkeit geeignet waren, zu bauen, und Tausende alte umzurüsten. Außerdem schickte man sich an, die neuen Waffen zu produzieren, für die es bereits fertige Konzepte gab, deren Einsatz aber sinnlos gewesen wäre, solange man die anderen Welten der Hegemonie nur auf wirtschaftlicher Basis kontrollieren konnte.
Als er dann endlich eintraf, stellte er erleichtert, aber auch betroffen fest, daß es in den Konstruktionsplänen für die Schiffe und Antriebsaggregate von Fehlern und Irrtümern nur so wimmelte. Er selbst hatte einen originalen Stardrive gesehen und mit dem Plasma gearbeitet, also war er den Leuten von Kharemough weit voraus. Trotzdem hätten die Forscher und Ingenieure nicht so viel verkehrt machen dürfen, da sie ja einen Zugang zum Sibyllennetz hatten. Mit der Zeit schien die Sibyllenmaschinerie zu verschleißen – kein Wunder, wenn man bedachte, wie alt sie war –, aber die hohe Anzahl der Fehler gab in der Tat Grund zur Besorgnis.
Ein größerer Einbruch des Informationssystems, auf das sich die gesamte Hegemonie verließ, wäre eine Katastrophe. Er hatte die Menschen beobachtet, wenn sie über diese Möglichkeit diskutierten, und war froh, daß er für das Sibyllennetz nicht zuständig war. Seine Aufgabe war es, Sternenschiffe zu bauen, und fehlerhafte Berechnungen ließen sich korrigieren. Die zu erwartenden Probleme mit dem Sibyllennetz bedeuteten nur, daß sie mit voller Kraft weiterarbeiten mußten, für den Fall, daß tatsächlich das gesamte System versagte. Indem er versuchte, den Forschern und Ingenieuren diesen Punkt zu verdeutlichen, dämmerte ihm, daß die Fehler im Sibyllennetz als Entschuldigung für Schludrigkeit, Bürokratie Mißwirtschaft und eine lasche Haltung herhalten mußten.
Er hatte nicht damit gerechnet, eine solche Einstellung bei seinen eigenen Leuten zu finden, und die Wahrheit traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Mittlerweile betrachtete er die Vorgänge innerhalb der Technokratie mit den Augen eines Außenseiters, und er stellte fest, wie viele Dinge auf seiner Heimatwelt stagnierten.
Er allein wußte um die widersprüchlichen Gefühle, die diese Erkenntnis in ihm erzeugte: sein eigenes Volk sah er mit einer Mischung aus Ernüchterung und Bedauern, Selbstbewußtsein und Stolz auf sein angestammtes Erbe. Wenn er an Mond Dawntreader und Tiamat dachte, empfand er
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