Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
von der Hegemonie unabhängig zu machen, damit die Mers nie mehr abgeschlachtet werden. Aber jetzt hat sich die Situation geändert – für uns alle. Die Außenweltler kommen viel zu früh zurück, wir sind nicht darauf vorbereitet, und sie werden die Mers abschlachten, bevor sich der Bestand der Kolonien erholt hat. In ihrer blinden Gier werden sie sie niedermetzeln, bis sie sämtliche Mers getötet haben. Das wäre eine schreckliche Tragödie, nicht nur für uns, sondern auch für die Außenweltler; dann stünden wir alle unter dem ... Fluch der Herrin. Wir müssen einen Weg finden, das zu verhindern.«
»Und was willst du unternehmen?« fragte Capella Goodventure; es klang immer noch skeptisch, aber zumindest nicht mehr so feindselig.
Mond stieg die schmale, steile Treppe hinab und mußte achtgeben, wohin sie trat; sie bedeutete Capella, ihr zu folgen. »Die Herrin hat mir die Wahrheit über die Mers offenbart; sie sind intelligente Wesen ... so wie wir.«
»Und das glaubst du?« fragte Capella. Mond wußte, daß sie nicht nur über die Neuigkeit staunte, sondern in erster Linie darüber, daß sie ausgerechnet von ihr kam, einer Frau, die sich demonstrativ über eine Tradition hinwegsetzte, nach der die Mers als heilig galten.
»Ich bin fest davon überzeugt, daß es stimmt«, betonte sie. »Die Mers haben eine eigene Sprache. Die anderen Sibyllen aus dem College und ich haben diese Sprache studiert und nach einer Möglichkeit gesucht, wie wir uns mit den Mers verständigen könnten. Wenn eine Kommunikation zustande käme, könnte man sie wenigstens vor der Gefahr warnen.«
Mond war am Fuß der Treppe angekommen. Sie nickte Jerusha und Miroe zu, die am Pier standen. Dann hörte sie, wie Capella hinter ihr jählings stehenblieb.
»Was wollen die hier?« fragte die Clanälteste schroff. »Warum hast du sie mitgebracht? Sie sind hier nicht willkommen!«
Sie brach ab, als das Wasser sich plötzlich bewegte und der Kopf eines Mers auftauchte. Silky reckte den langen, sehnigen Hals und schaute die Leute am Pier wie fragend an. Jerusha ging in die Hocke, murmelte etwas Unverständliches und streichelte den Kopf des Merlings. Wie hypnotisiert sah die Älteste des Goodventure-Clans ihr zu.
»Ich bat sie mitzukommen, weil der Merling ihnen gehört«, erklärte Mond leise.
»Niemand besitzt einen Mer«, widersprach Capella gereizt. »Und kein Außenweltler sollte sich das Recht anmaßen ...«
»Sie haben Silky aufgezogen«, erzählte Mond. »Vor ungefähr sieben Jahren fanden sie sie verwaist am Strand. Jetzt sind sie ihre Familie. Silky verließ die Bucht vor Ngenets Plantage, wo sie ihr ganzes Leben verbracht hat, um den beiden hierher zu folgen ... weil sie sie darum baten. Deshalb sind sie hier, um dir zu zeigen, daß ich die Wahrheit gesagt habe.«
Langsam ging Capella Goodventure an ihr vorbei und steuerte auf Jerusha und Miroe zu; sie bewegte sich steif und ungelenk, wie wenn jeder Schritt ihr widerstrebte. »Habt ihr diesen Merling aufgezogen?« vergewisserte sie sich.
Miroe nickte. »Ja, haben wir.« Jerusha hockte immer noch am Rand des Piers und hielt sich an einem Pfosten fest, um unter Silkys ausgelassenen Liebesbezeugungen nicht die Balance zu verlieren.
»Wie ist das möglich?« Verstandesmäßig konnte Capella nicht fassen, was sie mit ihren eigenen Augen sah. »Ihr seid nicht mal von Tiamat.«
»Meine Familie lebt seit drei Generationen hier«, erklärte Miroe und baute seine hochgewachsene Gestalt vor ihr auf. Er wirkte genauso gereizt wie Capella. Mond erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit ihm, und die Clanälteste tat ihr fast ein bißchen leid. »Meine Frau blieb auf Tiamat, als ihre Leute für immer abreisten, weil ihr diese Welt von allen am besten gefällt. Wir gehören genauso hierher wie du. Deine Vorfahren kamen als Flüchtlinge mit einem Sternenschiff namens
Goodventure
auf diesen Planeten, ihre ursprüngliche Heimat lag auch ganz woanders. Die einzigen wirklichen Eingeborenen von Tiamat sind die Mers.« Er bliccte über die Schulter zu Jerusha und Silky. »Mein ganzes Leben lang habe ich die Mers studiert. Ich habe versucht, sie unter Einsatz meines Lebens zu beschützen, bis der Winter zu Ende ging. Aber es hat nicht gereicht. Nie wieder will ich sehen, was sich damals an meinem eigenen Strand abspielte!«
Capella Goodventure musterte die beiden Fremden noch eine Weile, ehe sie sich wieder Mond zuwandte. Mond hatte den Eindruck, die Clanälteste sähe sie nach sechzehn
Weitere Kostenlose Bücher