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Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Nostalgie leben wir, mein Schatz.«
    »Aber nicht mehr lange, wenn du dich über zerbrochenes Geschirr so aufregst. Was gibt's heute zu essen?«
    »Cremesuppe mit Scherben.«
    »Die Scherben berechne ich extra«, sagte sie und sah, wie er brummig lächelte. Sein langes, grämliches Gesicht wirkte gleich um zehn Jahre jünger, wenn er lächelte, was nicht oft vorkam, weil er sich für einen
Künstler
hielt. »Und erklär mir bitte die Speisekarte. Was ist das zum Beispiel?« Sie zeigte auf einen Schriftzug, der ein paar Hieroglyphen enthielt.
    »Das ist Sandhi«, entgegnete Shotwyn hochnäsig. »Die Erste Sprache auf Kharemough.«
    »Das weiß ich«, erwiderte sie mit gespielter Geduld. »Aber was
heißt
es?«
    »›Fisch‹, natürlich«, murmelte er und wandte sich stirnrunzelnd ab. »Es heißt ›Fisch‹, mehr nicht. Alles heißt ›Fisch‹, egal, wie man es ausspricht.« Er begann wild mit den Händen zu fuchteln, als Brannod zögernd mit einer Schüssel und einem Besen anrückte.
    Tor ging in den Speiseraum zurück. Wenn Shotwyn eine seiner Launen hatte, war es zwecklos, vernünftig mit ihm reden zu wollen; eigentlich war er immer schlecht gelaunt, fiel ihr ein. Während sie die Gäste begrüßte, fast alles Stammkunden, die sie persönlich kannte, setzte sie ein heiteres Lächeln auf. Als Besitzerin von Persiponës Spielhölle hatte sie sich geschliffene Manieren angeeignet; und sich zwangsläufig einen bizarren Charakter zugelegt, den sie spielte wie eine Rolle; der wirkliche Eigentümer des Lokals hatte von ihr verlangt, sie solle eine tote Frau kopieren, deren Holographie er immer bei sich trug, in dem schwarzen Schatten, in den er sich einhüllte wie ein Dämon der Nacht.
    Sie hatte es gehaßt, Persiponë verkörpern zu müssen, es war das einzige an ihrem Job, was ihr nicht gefiel. Nach dem Wechsel ließ sie dann alles hinter sich, was sie auch nur entfernt an dieses perverse Rollenspiel erinnerte.
    Aber was man einmal beherrscht hat, verlernt man nie, deshalb konnte sie jetzt freundlich lächeln, auch wenn ihr nicht danach zumute war, und mit ihren hohlköpfigen Gästen nichtssagende Konversation machen. Sie schlenderte an den Tischen vorbei, sagte guten Tag und paßte auf, daß die Bedienung nicht schlampte.
    Jählings blieb sie stehen, als sie Funke Dawntreader sah; er saß hinten im Raum an einem Tisch neben den Fenstern mit den rautenförmigen Scheiben, die auf die Straße gingen. In einer Woche war er nun schon zum drittenmal hier; früher hatte er das Restaurant nur ein einziges Mal aufgesucht, anläßlich der Eröffnungsfeier.
    Er suchte sich jedesmal denselben Tisch aus, wo er ungestört sitzen und lesen oder sich mit einem Bandgerät beschäftigen konnte. Doch verstohlen beobachtete er die anderen Gäste, die Winter, mit denen er früher regelmäßig verkehrt hatte. Und sie behielt wiederum ihn im Auge.
    Sie fragte sich, wieso er in dieses Lokal kam und nicht daheim bei seiner Familie blieb. Vielleicht klappte es in seiner Ehe nicht mehr. Gewundert hätte es sie nicht – sie staunte bereits, daß es nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, nicht schon längst zu einem Bruch kam.
    Als Mond ihn damals in der Stadt suchte, hatte sie sich eingebildet, er sei ihre große Liebe. Jeden, den sie traf, einschließlich eine Tor Starhiker, hatte sie in ihre Rettungsaktion hineingezogen. Mond hatte es sich in den Kopf gesetzt, Funke Dawntreader vor Arienrhod zu retten. Und wider besseres Wissen hatte sich Tor dazu überreden lassen, diesem naiven Mädchen aus dem Hinterland, das voller romantischer Träume steckte, zu helfen. Den wahren Grund für ihren Einsatz wußte sie bis heute nicht, er entzog sich ihrem Verstand; vielleicht lag es an Monds kompromißloser Leidenschaft, oder auch daran, daß sie auf eine schon unheimliche Weise der Schneekönigin glich.
    Tatsächlich hatte Mond ihre Träume verwirklicht, doch das hieß noch lange nicht, daß sie ihren Erfolg eines Tages nicht noch bitter bereuen würde. Wenn ein Wunschtraum in Erfüllung ging, konnte das sowohl ein Segen als auch ein Fluch sein. Tor fragte sich, ob Funke Dawntreader vielleicht schon zu dieser Erkenntnis gelangt war; hockte er nur finster vor sich hinbrütend in diesem Lokal, weil ihn ein schlechtes Gewissen plagte, oder sehnte er sich nach den alten Zeiten zurück? Wenn man erst einmal von den dunklen Freuden des Lebens gekostet hatte, entwickelte man einen Geschmack dafür, der einen nie wieder verließ. Seufzend wandte sie

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