Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Obszönität.
Und sie verstand, weshalb Miroe es Funke Dawntreader nicht verzeihen konnte und nicht verzeihen wollte, daß er – ein Angehöriger des Sommervolks und selbst ein Kind des Ozeans – sich zu Arienrhods willfähriger Kreatur hatte machen lassen ... zu ihrem Starbuck.
Jerusha wandte den Blick von den ruhenden Mers am Strand ab und schaute in die leeren Augen ihres Mannes. Sie ließ die Reling los, die sie umklammert hielt, und preßte die Hände gegen ihren Leib, der keine Frucht tragen wollte. Sie drehte sich um und ging auf die Kabine zu, die ihr vorkam wie eine düstere Höhle. Plötzlich schien es ihr, als läge über ihnen allen immer noch Arienrhods Fluch, selbst nach so langer Zeit.
Vor dem Eingang zögerte sie und blickte sich ein letztes Mal nach Miroe um, der bewegungslos an der Reling stand und aufs Wasser hinabstarrte. Dann betrat sie die dunkle Kabine und lauschte, ob sie hinter sich Schritte hörte. Sie war erleichtert, als es still blieb.
TIAMAT
Karbunkel
H allo, Cousin, heute wird ein schöner Tag!« Danaquil Lu Wayaways blickte erschrocken hoch, als sich ein Paar Hände vertraulich auf seine Schultern legte. Durch den Druck schmerzte sein arthritischer Rücken, und er biß die Zähne zusammen. Sein Verwandter, Kirard Set, der Älteste des Wayaways-Clan, lächelte in milder Vorfreude und schien sein Unbehagen nicht zu bemerken. Danaquil Lu runzelte die Stirn. »Sprichst du vom Wetter?« fragte er.
Kirard Set lachte. »Das Wetter. Du bist unbezahlbar, Dana.« Aufmerksam musterte er seinen Vetter. »Ich weiß nie, ob du mich auf den Arm nehmen willst, oder ob du einfach zu lange bei den Fischfressern gelebt hast. Wie dem auch sei, du bist einmalig.«
Danaquil Lu erwiderte nichts darauf.
»Ich spreche natürlich von der bevorstehenden Entscheidung über die neue Gießerei.«
»Dann bist du bei mir an der falschen Adresse«, entgegnete Danaquil Lu mit flacher Stimme. Viele Angehörige des Winteradels waren schnell bei der Hand, ihm Günstlingswirtschaft vorzuwerfen, weil er einer der zwei Winterleute im Sibyllencollege war, und ein Wayaways obendrein. Aber die endgültigen Entscheidungen traf die Königin. Er stützte sich schwer auf die Tischplatte und versuchte, eine bequemere Position zu finden. Weder im Stehen noch im Sitzen war es ihm nunmehr möglich, den Rücken gerade zu halten.
Kirard Set gab ein Brummen von sich. »Du siehst nicht nur aus wie ein alter Mann, Cousin – du benimmst dich auch wie einer. Du hättest die Stadt nie verlassen dürfen.« Anstatt sich neben Danaquil Lu zu setzen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte, ging er um den großen runden Tisch herum und suchte sich einen ihm genehmeren Sitznachbarn.
»Was blieb mir denn anderes übrig?« murmelte Danaquil Lu vor sich hin. Er hob die Hand und befühlte die Narben an seiner Wange. Die Erinnerung an seine Verbannung aus Karbunkel brannte in ihm so lebhaft, als sei sie erst gestern geschehen. Es war schwer vorstellbar, daß es vor so langer Zeit passierte, als er noch ein dummer, unbeholfener Junge war, der mit der Person, zu der er sich bei den Sommerleuten entwickelt hatte, kaum noch etwas gemein hatte. Genauso unfaßbar kam es ihm vor, daß er nun seit fast acht Jahren wieder in Karbunkel wohnte. Er schüttelte sich, um das Gefühl der Verwirrung loszuwerden, und dadurch schmerzte sein Rücken nur noch mehr.
Miroe Ngenet, der Leibarzt der Königin, arbeitete mit Clavally zusammen. Sie befragten das Sibyllennetz und versuchten, eine Medizin oder eine chirurgische Maßnahme zu finden, die ihm Linderung verschaffen konnte. Unterdessen mußte er mit seinen Schmerzen leben.
Er bewegte sich wie ein alter Mann, er fühlte sich wie ein alter Mann, und an manchen Tagen glaubte er sogar, er sei alt, besonders wenn er sich Kirard Set anschaute. Kirard Set hätte dem Alter nach sein Urgroßvater sein können, doch er schaute eher aus wie sein Sohn. Kirard Set war ein Favorit der Schneekönigin gewesen – und sie hatte ihn vom Wasser des Lebens kosten lassen.
Aber die Königin gab es nicht mehr, und um Kirard Sets Augen bildeten sich langsam Krähenfüßchen. Als Danaquil Lu daran dachte, fühlte er sich gleich ein wenig jünger. In der Stadt lebte es sich bequemer, und wenn sie auf den Inseln geblieben wären, hätte Clavally nie ein Kind bekommen. Jetzt hatten sie eine niedliche Tochter, die ihnen viel Freude machte und sie beide – vor allen Dingen Clavally – von der Beschäftigung mit seinen
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