Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt

Generalgouverneur schmunzelte in sich hinein. Estvarit zog die Mundwinkel hoch. »Mir scheint, an Ihnen ist ein Volksredner verlorengegangen, Gundhalinu.«
    »Wie kamt ihr darauf, mich plötzlich in die inneren Zirkel der Survey-Loge aufzunehmen?«
    Estvarit faßte in eine Tasche seiner Amtsrobe und zog etwas heraus. Zu seiner Überraschung erkannte Gundhalinu zwei übereinandergelegte Kreuze in einem Kreis, die einen achtzackigen Stern bildeten: das Siegel der Hegemonie. Es prangte auf sämtlichen Staatsdokumenten und zierte jedes Ausrüstungsstück, bis hin zur Gürtelschnalle seiner Uniform. In Estvarits Hand funkelte dieser Stern nun in einem holographischen Feuer.
    »Soll mir hier der Lichtorden verliehen werden?« staunte er. Plötzlich erinnerte er sich an seinen Aufenthalt in der Wildnis, und wie die schlanken Hände einer wahnsinnigen Frau ihm einen flammenden Edelstein entgegenhielten – einen Solii ... Er schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu klären.
    Estvarit nickte. »Für Ihre Tapferkeit und Opferbereitschaft machte man Sie zu einem Helden der Hegemonie. Offiziell werden Sie erst in ungefähr einer Woche von dieser Ehrung erfahren. Meine Glückwünsche, Kommandant Gundhalinu. Diesen Orden bekommt man normalerweise posthum verliehen.«
    Gundhalinu fragte sich, ob wirklich eine Spur von Ironie in Estvarits Stimme mitschwang. »Ich weiß diese Ehre zu schätzen.« Estvarit legte ihm die Medaille in die Hand, damit er sie anfassen konnte.
    »Sie haben sich dieser Ehre würdig erwiesen, Gundhalinu«, sagte Savanne. »Die ... Narben aus ihrer Vergangenheit sind durch Ihre Entdeckung des Stardrive-Plasmas ausgelöscht worden.« Stirnrunzelnd drehte sich Estvarit um und brachte Savanne mit einem Blick zum Schweigen. Der Generalgouverneur hüstelte und spreizte die Finger.
    »Ja«, fuhr Estvarit brüsk fort, »wegen dieser Entdeckung, die Sie am Feuersee machten, haben wir Sie in die inneren Zirkel aufgenommen. Denn zu diesem Unterfangen brauchten Sie Mut und Intelligenz, sonst hätten Sie Ihren Abstecher nach World's End nicht überleben können. Aber Sie sind nicht nur körperlich und geistig gesund wieder zurückgekehrt, Sie haben auch ein Wissen mitgebracht, das gewaltige Veränderungen nach sich ziehen wird. Ihre Vergangenheit ist unwichtig geworden, weil Sie unser aller Zukunft gerettet haben. Doch das brauche ich Ihnen nicht zu sagen.«
    Schweigend gab Gundhalinu die Medaille an Estvarit zurück. Dann faltete er die Hände und tastete verstohlen nach den Narben an den Innenseiten der Handgelenke; aber die Male, die von einem fehlgeschlagenen Selbstmordversuch herrührten, hatte er nach seiner Rückkehr von World's End entfernen lassen.
    »Außerdem ehrt es Sie«, sagte der Oberste Richter, während er Gundhalinu forschend ins Gesicht blickte, »daß Sie Ihre Entdeckung nicht feilboten, sondern sie, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, der Hegemonie zur Verfügung stellten. Gundhalinu, in unserer Organisation ist kein Platz für triviale Vorurteile und engstirnige Weltanschauungen. Wir versuchen, gegen das
    Chaos anzukämpfen und eine Ordnung zu schaffen. Ich fühle es, daß Sie unsere Vision teilen. Und Sie haben bewiesen, daß Sie die Fähigkeit haben, Dinge in Bewegung zu setzen.«
    Gundhalinu zögerte und schaute nun seinerseits Estvarit prüfend an. Schon oft hatte er Lügner enttarnt, und er wußte, daß Schurken sich äußerlich meist nicht von ehrlichen Menschen unterschieden. Doch in Estvarits Augen vermochte er keine Spur von Heuchelei oder Abneigung zu erkennen; was er sich selbst damals angetan hatte, in einem früheren Leben, das ihm jetzt weit entfernt vorkam, schien ihn nicht zu interessieren. Der Oberste Richter war nicht nur der mächtigste Mann in der Regierung von Nummer Vier, er war außerdem ein Tech, ein Mitglied der höchsten gesellschaftlichen Kaste auf Kharemough, ihrer gemeinsamen Heimatwelt. Er hätte sich nicht die Mühe gegeben, sich zu verstellen, sondern seine Meinung frei herausgesagt.
    Gundhalinu hatte immer das Gefühl gehabt, daß Estvarit sein hohes Amt verdiente, weil er ein Mann von ungewöhnlicher Integrität war; nun jedoch war er fest davon überzeugt. »Ja«, sagte er schließlich. »Diese Vision teile ich, so denke ich auch.« Sein qualvolles Erlebnis am Feuersee hatte ihn viele unbequeme Wahrheiten gelehrt. Doch die bitterste Erfahrung war die Erkenntnis daß der Glaube, Dinge beherrschen zu können, ein Hohn war. Man kontrollierte nichts; man hatte