Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Sibyllenanhänger tastete, den er sonst unter seinen Gewändern trug. »Wenn man auf Kharemough von dieser Entdeckung nicht einmal etwas ahnt, kann auch keiner die richtigen Fragen stellen, auf die ich antworten könnte.«
Und dennoch ...
Ihm fiel ein, daß er selbst etwas Ähnliches bereits getan hatte, als er in World's End verschollen war: Er hatte nach Mond Dawntreader gerufen, und sie war zu ihm gekommen ...
»Es gibt eine Möglichkeit ... die hat es schon immer gegeben. Ich sage Ihnen den Namen eines unserer Mitglieder auf Kharemough; diese Person ist mit dem Sibyllennetz verbunden. Durch eine spezielle Transfersequenz, die Sie von uns erfahren, können Sie einen direkten Port zu der Person öffnen.«
Gundhalinu gab einen Laut von sich, der halb wie ein Lachen klang. »Das ist unglaublich. Eine spontane, überlichtschnelle Kommunikation ... Warum behaltet ihr das für euch?«
»Wenn wir dem Vermächtnis unserer Ahnen treu bleiben wollen müssen wir unsere Geheimnisse wahren – das gibt uns Macht.« Estvarit zuckte die Achseln. »Und jetzt hören Sie mir bitte gut zu ...«
Die Beleuchtung im Zimmer wurde matter und heller ... matter und heller. »Verdammt!« fluchte Estvarit. Mit einem Schlag wurde es stockfinster.
Ihr Götter, nicht schon wieder!
dachte Gundhalinu. Jemand packte ihn bei den Schultern und zerrte ihn grob herum. »Hier entlang ...« Er erkannte die Stimme des Generalgouverneurs. Gehorsam ließ er sich durch das Zimmer bugsieren, und dann wurde er in totaler Dunkelheit durch ein Loch geschoben. Danach veränderte sich die Luft, und auch die Stimmen klangen anders: Zwei Schritte weiter stieß er gegen eine Wand.
»Folgen Sie dem Tunnel nach oben«, murmelte der Generalgouverneur.
Haben Sie keine Angst. Stellen Sie keine Fragen. Es ist alles in Ordnung. Wenn Sie weitergehen, gelangen Sie automatisch an die Oberfläche. Kommen Sie morgen abend in die Versammlungshalle von Foursgate. Wir bleiben in Verbindung.
Dann war er allein. Er hatte das Gefühl, von Wänden umschlossen zu sein, obwohl er nichts sah. Mit der linken Hand hielt er sich an der Mauer fest, und den rechten Arm streckte er suchend aus. Zum zweitenmal in dieser Nacht kämpfte er gegen seine Nervosität und Unsicherheit an. Seine Finger stießen gegen eine glatte Fläche; der Gang, in dem er steckte, mußte sehr eng sein.
Langsam, einen Fuß vor den anderen setzend, tastete er sich voran. Der Tunnel führte stetig nach oben, und je weiter er kam, um so verbrauchter und stickiger wurde die Luft. Zum Schluß prallte er gegen einen Widerstand, als hätte sich die Finsternis plötzlich zu einer festen Masse verdichtet.
Doch ehe er in Panik geraten konnte, gab die Wand unter seinem Druck nach und entließ ihn ans Tageslicht und in die frische Luft.
Er stolperte nach draußen auf die Straße, und die Tür glitt hinter ihm zu. Sie schien mit der Wand zu verschmelzen, denn als er sich umdrehte, konnte er nicht mehr erkennen, wo sie gewesen war. Lange Zeit starrte er die Mauer an und atmete tief durch. Das plötzliche Licht und die kalte, klamme Luft machten ihn benommen.
Schließlich wandte er sich um und versuchte, sich zu orientieren. Er befand sich immer noch in Foursgate, aber im Alten Viertel. Seine bloßen Füße standen auf einem schmalen, glitschigen, gepflasterten Weg, der eine Zeile aus stillen, geschlossenen Lagerhallen von einem Kanal trennte. Das kalte Wasser schwappte träge gegen die Uferböschung. Es mußte sich um einen der zahllosen Kanäle handeln, die sich an den alten Gebäuden aus Duroplass vorbeischlängelten und ins Meer mündeten. Gundhalinu konnte das Meer riechen, obwohl der scharfe, würzige Geruch vom Mief stehenden Wassers, fauligen Holzes und noch unangenehmeren Düften überlagert wurde.
Die Luft war feucht, wie immer; Nebel lag wie eine Decke über dem Alten Viertel, und ein feiner Nieselregen benetzte sein Gesicht. Nur wenige Meter von ihm entfernt verschluckte der Dunst die fleckigen grauen Gemäuer. Nebelschwaden hingen über dem Kanal, bis Wasser und Smog miteinander verschmolzen, so wie die Tür in der scheinbar soliden Wand hinter ihm verschwunden war. In der Ferne läuteten die Glocken eines Turms eine Melodie, doch der Nebel dämpfte den Schall und verlieh den Tönen einen Hauch von Unwirklichkeit. Die Morgendämmerung war gerade erst angebrochen, und außer ihm schien noch keine Menschenseele unterwegs zu sein.
Erschöpft lehnte er sich gegen die Mauer. Ihn fröstelte, und er zog sein
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