Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
sich körperlich und psychisch vollkommen ausgelaugt, und gegen seinen Willen fielen ihm die Lider zu. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal so sicher gefühlt hatte wie jetzt, und er machte nicht den Versuch, sich krampfhaft wachzuhalten, dazu hätte ihm auch die Kraft gefehlt. Das Rettungsboot synchronisierte mit Hilfe des Autopiloten die Orbits; sobald sie die
Prajna
erreichten, würde er geweckt werden. Endlich konnte er ein paar Stunden schlafen ...
»Kedalion?«
Kedalion machte die Augen auf; er fühlte sich groggy
und wußte nicht, wodurch er geweckt worden war. Neben ihm stand Ananke, und er fuhr erschrocken hoch. »Was ist los?« fragte er benommen.
»Entschuldige, daß ich dich geweckt habe. Ich ...« Mit äußerster Behutsamkeit ließ Ananke sich im Copilotensessel nieder; trotzdem zuckte sie zusammen und bekam ganz schmale Lippen. »Tut mir leid.«
»Schon gut.« Kedalion setzte sich gerade hin und streckte sich; plötzlich war er hellwach. Er prüfte die Displays und schaute dann hinaus in die Nacht; gewohnheitsmäßig überzeugte er sich davon, daß alles nach Plan verlief. Dann schielte er zu Ananke hin –dasselbe Gesicht, dieselben Augen, denselben Körper, hatte er seit Jahren jeden Tag gesehen; nun versuchte er herauszufinden, ob er einen Unterschied entdecken konnte, doch dabei kam er sich pervers vor. »Was ist? Alles in Ordnung mit dir? Brauchst du was?«
»Mir geht's gut. Ananke schüttelte seinen ... ihren Kopf und sah ihn mit ihren blauschwarzen, verhüllten Augen an. »Hast du ... hast du meine Wunde versorgt?«
Er nickte. »Ja. Wahrscheinlich hast du jetzt höllische Schmerzen, aber es wird gut verheilen.«
Sie nickte, wandte den Blick ab und biß sich auf die Lippe. »Es tut ein bißchen weh – trotz der Schmerzpflaster. Danke, Kedalion, daß du ...«
»Du brauchst mir nicht zu danken.« Lächelnd schüttelte er den Kopf.
Sie sah ihn wieder an, und er wußte, daß sie herauszufinden versuchte, ob er ihr Geheimnis entdeckt hatte – sie traute sich nur nicht, ihn offen zu fragen.
»Ja«, sagte er und erlöste sie aus ihrer Spannung. »Ich hab's gesehen, ich weiß Bescheid ... es ging nicht anders. Wieso hast du mir nie erzählt, daß du eine Frau bist?« Eine Unzahl von Kleinigkeiten, die ihm im Lauf der Jahre aufgefallen waren, ergaben nun einen Sinn. Anankes ausgeprägte Schamhaftigkeit, die scheuen Blicke, wann immer er über Sex sprach ... »Warum diese Geheimnistuerei?«
»Weil du ein Mann bist«, antwortete sie, wie wenn dies alles erklärte. Mit den Armen bedeckte sie ihre Brüste, als ob sie entblößt wären. »Außerdem hättest du mich niemals mitgenommen, wenn du es gewußt hättest ... oder?« Es klang vorwurfsvoll.
»Na ja ... ich weiß nicht«, erwiderte er.
»Und Reede hätte mich auch nicht bleiben lassen.« »Vielleicht nicht ... damals noch nicht. Aber jetzt ...« Er zuckte die Achseln.
Sie warf ihm einen schnellen Blick zu und erstarrte. »Weiß er es auch?«
»Nein«, murmelte Kedalion. »Ich bin der einzige –außer dir.«
Sie sank in den Sitz zurück, wobei ihr Körper vor Schwäche zitterte. »Heiliger Calavre ...«, flüsterte sie, und ihre Finger krallten sich in den Stoff ihres Overalls. »Warum mußte das passieren?«
»Warum hast du das überhaupt gemacht, möchte ich gern wissen«, erwiderte er. »Hat es dir so sehr gestunken, auf Ondinee eine Frau zu sein?«
Ihr Blick verdüsterte sich. »Ja«, murmelte sie, an ihrem Körper hinabschauend. Als sie zu erzählen anfing, nahm ihre Stimme wieder den melodischen ondineanischen Akzent an, den sie schon seit Jahren verloren hatte. »Auf Ondinee gelten nur die Männer etwas, die Frauen sind nichts wert. Auf dem Marktplatz kann man sie kaufen und verkaufen wie ein Stück Vieh. Einige, die aus reichen Familien stammen, haben das Glück, wie Schoßtiere verhätschelt zu werden. Sie tragen schöne Gewänder und Schmuck, und man bringt ihnen das Lesen bei, damit sie die Illusion haben, sie seien Menschen.«
Sie hob den Kopf. »Wir waren nicht reich, mein Vater war Tagelöhner. Meine Mutter war einmal Tänzerin gewesen, und sie brachte mir ein bißchen das Tanzen bei ... Aber mein Vater wollte Geld, er wollte mich an die Priester verkaufen, die mich dann für ihre Tempelriten benutzt hätten. Mein Bruder ... mein Bruder versuchte ständig, mich allein zu erwischen – er begrapschte mich und zwang mich, seinen Schwanz anzufassen; er erzählte mir, was bei diesen Riten passiert,
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