Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
befunden hatte, den dieses verteufelte Land nur bieten konnte. »Zur Hölle damit!« Der Polizistenkiller schleuderte eine Handvoll Asche weg, dann fixierte er wieder Gundhalinu. Lange Zeit starrte er ihn an, und in seine Schweigen hörte Gundhalinu die Worte, die er nie, aussprechen konnte, weil eine böse Erinnerung ihn daran hinderte.
Gundhalinu nickte. »Wir sollten lieber nachsehen, ob wir noch einen Schlitten haben«, murmelte er spähte den Hügel hinauf. Er gab sich einen Ruck fing an, nach oben zu klettern, mit gummiweichen lenken, und immer wieder herabrutschend. Polizistenkiller kraxelte ihm hinterher, und zusammen erreichten sie den Kamm der Anhöhe. Der Schlitten mit der Ausbeute des Tages und dem importierten Proviant lag noch drunten auf der anderen Seite des Hügels; er war umgekippt, aber intakt. Gundhalinu seufzte erleichtert.
Zufrieden grunzend, richtete der Polizistenkiller sich zu seiner vollen Größe auf. Er drehte sich um, blickte nach unten und dann zu Gundhalinu. »Tu mir einen Gefallen, Verräter. Träum nicht mehr.« Kopfschüttelnd stapfte er den Hang hinunter.
Ein letztes Mal schaute Gundhalinu über die Schulter. Dann ging er dem Polizistenkiller schweigend hinterher.
TIAMAT
Karbunkel
S ie fiel ...
Mond öffnete die Augen; ihr Angstschrei blieb stumm, als sie sich in ihrer eigenen Welt, in ihrem Zimmer, in ihrem Bett wiederfand. Sie setzte sich hin und preßte die Hände gegen die Brust. Aus unvorstellbarer Höhe war sie hinabgestürzt, und mitten im Fall wurde sie gebremst.
Sie sackte nach vorn, stützte den Kopf in die Hände und atmete tief durch – einen kurzen Augenblick lang, bevor sie sich erinnerte, wer sie war, empfand sie ein durchdringendes Glücksgefühl, weil sie wach war und lebte ...
Sie rutschte an die Kante des breiten Betts, schlug die Decke zurück und schwenkte die Beine über den Bettrand; die plötzlich auf sie eindrängenden Erinnerungen trieben sie zu sinnlosen Aktionen. Einen Fuß auf dem Fellteppich, erstarrte sie in der Bewegung.
In ihrem Zimmer saß Reede Kullervo und sah sie schweigend an. Sie blickte sich um und forschte nach, ob noch weitere Personen zugegen waren.
Er schüttelte den Kopf und lächelte. »Außer mir ist hier niemand, Herrin. Und ich bin zu schwach, um Ärger zu machen, andernfalls hätte PalaThion mich am Sessel festgebunden.« Achselzuckend hob er die Hände. »Ich wollte dabeisein, wenn Sie aufwachten, damit Sie gleich Bescheid wüßten.«
Mond drückte die Hände gegen ihren Körper und fühlte durch das dünne Nachtgewand ihre Haut. »Wie geht es Ihnen denn?« fragte sie matt. Er trug ein weites, handgewebtes Hemd und eine Pluderhose; sie staunte, wie sehr er einem Tiamataner glich, er hätte für einen Eingeborenen durchgehen können.
»Ich fühle mich beschissen«, erwiderte er mit kläglichem Lächeln. »Trotzdem geht es mir verdammt viel besser als gestern. Ihr Impfstoff hat den Zersetzungsprozeß in meinen Zellen gestoppt. Was vorn Körper noch übrig ist, muß jetzt von selbst heilen. Bei mir ist eine Menge kaputt ...« – er senkte den Blick – »und manches wird wohl nie wieder in Ordnung kommen.« Als er wieder hochsah, waren seine Augen tief und klar wie der Himmel. »Ich begreife nicht, warum Sie das für mich getan haben. Bei den Göttern, ich fand ja selbst, daß ich den Tod verdient hätte! Das Sibyllennetz ...« Er brach ab.
»... hat seine Meinung geändert«, ergänzte Mond sanft. »Und vielleicht auch seine Perspektive.«
Reede kämmte sich mit zittrigen Fingern das Haar. »Und wie denken Sie? PalaThion erzählte mir, Vhanu bestünde auf meiner Auslieferung.« Sie sah den gehetzten, wissenden Blick in seinen Augen. »Sie sagte, es hinge allein von Ihnen ab, ob ich hierbleiben darf oder nicht.«
»Ihre Ankunft hat mich von einer schweren Bürde erlöst, Vanamoinen«, murmelte sie. »Das ist das letzte Mal, daß ich Sie so nenne ...«, fügte sie hinzu, ehe er protestieren konnte. »Sie haben mir eine Art von Freiheit verschafft. Und deshalb möchte ich mich bei Ihnen revanchieren. Sie können hierbleiben und sich unter meinen Schutz stellen, so lange Sie wollen.« Sie faltete die Hände im Schoß.
»Ich danke Ihnen«, flüsterte er. Sie schaute ihn nicht an, sondern starrte auf ihre ineinander verschränkten Finger. Nach einer Weile fragte er: »Stimmt es, daß Sie keine Sibylle mehr sind?«
Sie nickte; bei diesem Eingeständnis hatte sie das Gefühl, als treibe sie dahin wie ein Schiff, das
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