Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
durchnäßt.
Die anderen umringten sie; gemeinsam zerrte sie nach vorn, mit ineinander verschränkten Armen Phalanx gegen die Angriffswut des Windes bildend, müsse man einen aufrührerischen Pöbel zurückdrängen. Der herabprasselnde Regen blendete sie, so daß sie nichts sah, aber sie hörte das Brüllen des Sturms, das Donnern und Dröhnen der unbarmherzig herangepeitschten Wellen, die tief drunten über die Docks brausten. Sie spürte, wie die ganze Stadt unter dem Ansturm erbebte. Plötzlich stand sie bis zu den Knöcheln im Wasser, als das Meer die Rampe heraufbrandete, das Pflaster überflutete und sich dann wieder zurückzog.
In einem Beobachtungsposten seitlich der Rampe wartete Vhanu auf sie, flankiert von einem weiteren halben Dutzend Polizisten. Ihre Bewacher zwängten sich hastig in die Station und zogen sie mit sich, um nicht mehr den direkten Angriffen des Windes ausgesetzt zu sein. Doch selbst hier überfiel sie der Sturm; durchtränkte sie mit immer neuen Salven aus Wasser und Gischt, packte ihr Haar und klatschte ihr die Strähnen ins Gesicht.
Vhanu pflügte durch seine Leute, bis er vor ihr stand; in seinen Augen lag ein Ausdruck, vor dem sie am liebsten weggelaufen wäre.
Doch sie wich keine Handbreit zurück; sie behauptete ihren Platz, selbst als er sich ihr bedrohlich näherte, angeblich, um sich Gehör zu verschaffen, doch in Wahrheit wollte er sie körperlich einschüchtern.
»Was wollen Sie von mir?« fragte sie; sie mußte schreien, um das Tosen des Windes zu übertönen. »Wieso bin ich hier?«
»Deswegen!« schrie er. Er umklammerte schmerzhaft ihren Arm und drehte sie um; dann stieß er sie vor die große Sichtscheibe. Sie erhaschte einen undeutlichen Blick auf den Damm, der nach unten führte und im Ozean zu verschwinden schien. Weder Anlegestellen noch Schiffe waren zu sehen – nur die kochende See, in der bis zur Unkenntlichkeit zerschmetterte Wrackteile umherwirbelten.
Während sie schaute, donnerte der nächste Brecher gegen die Pylonen; der Wellenkamm reichte fast bis an die Wölbung des Sockels, auf dem Karbunkel ruhte, und der fünfzig Fuß über der Normaltide lag. Wieder spürte sie, wie die Stadt unter dem Schlag der heran-brausenden Woge erzitterte; Wasser rauschte die Rampe herauf und ergoß sich in den offenen Schlund der Stadt. Der Wind geißelte das Fenster mit Gischt und nahm ihr die Sicht; als der nächste Schwall kalten Wassers ihre Knöchel umspülte, wich sie zurück.
Doch der Ausdruck von fanatischer Wut, der in Vhanus Augen brannte, machte ihr mehr Angst als das Wüten des Sturms.
»Ich will, daß das aufhört!« brüllte er und deutete nach draußen auf die entfesselten Elemente.
Sie starrte ihn an und merkte, daß die Wachen sich jetzt voll und ganz auf sie beide konzentrierten. »Was?« schrie sie.
»Machen Sie, daß der Sturm sich legt!« Er zerrte sie zur Tür zurück; der Wind neckte sie mit aller Kraft, liebkoste sie, versuchte, sie in seine gnadenlose Umarmung zu locken. Sie wollte kehrtmachen, doch Vhanu hielt sie fest und ließ sie beide vom Sturm malträtieren und halb ertränken. »Sie haben gehört, was ich sagte. Tun Sie es gleich!«
Sie reckte den Hals und bemühte sich, ihm ins Gesicht zu sehen. »Aber ich kann es nicht!«
»Lügen Sie mich nicht an«, tobte er. »Sie steuern die Energiequelle der Stadt nach Ihrem Belieben! Sie haben aus Gundhalinu einen Verräter gemacht! Man sagt sogar, daß Sie die Reinkarnation der alten Königin sind –und jetzt haben Sie das Unwetter entfacht, damit ich die Mers nicht jagen kann! Sie haben die Lebensgrundlage Ihres Volkes vernichtet. Verdammt noch mal, in der Stadt wird ein Chaos herrschen, wenn das Tribunal eintrifft. Sie befinden sich bereits im Orbit, aber sie können nicht einmal landen. Was sind Sie eigentlich eine Art Hexe? Wie machen Sie das? Woher haben Sie diese Macht?«
Sie schüttelte den Kopf und schlenkerte das klatschnasse Haar zurück; dann schöpfte sie keuchend Atem, als der Wind ihr die Luft aus der Lunge sog. Vor Verblüffung hätte sie fast gelacht, aber sie wußte, daß Vhanu jedes Wort ernst meinte. O
Herrin,
dachte sie,
Herrin, Herrin ...
Doch es erfolgte keine Antwort. »Keiner kann diesen Sturm besänftigen!« schrie sie. »Er muß sich von selbst austoben!«
»Dann geben Sie zu, daß Sie ihn verursacht haben?« »Nein!« brüllte sie.
Wieder umklammerte er ihre Arme. »Wenn Sie nicht dafür sorgen, daß der Sturm aufhört, befehle ich, daß man Karbunkel aus dem
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